Beim ersten der hier besprochenen Stücke (vom „Stückemarkt“) ging es – utopisch, gelungen und teils poetisch – um das Verhältnis des Menschen zur Natur. Estado Vegetal von Manuela Infante. H I E R zum Bericht im Blog.
Beim zweiten der besprochenen Stücke ging es – komplizierter, wie beim Psychologen – um den Menschen selbst. Gewissermaßen um das Innere des Menschen. Persona von Ingmar Bergmann. H I E R zum Bericht im Blog.
Beim dritten Stück, über das sich jetzt schreibe, geht es um die Menschen untereinander. Um Liebschaften, Sehnsüchte, Abneigungen, Wünsche, Täuschung etc. Gefühle immer um das Thema Liebe herum. Erniedrigte und Beleidigte von Fjodr M. Dostojewski.
Ich schreibe gerne über das Stück, da es am Staatsschauspiel Dresden noch zu sehen sein wird. Vielleicht geht jemand hin. Ich schreibe ungern über Dinge, die kein Mensch mehr ansehen kann.
Ein entscheidendes Element des Stückes erkennt man gar nicht. Die SchauspielerInnen improvisieren jeden Abend insoweit, als sie die Teile des Stückes jeweils spontan zusammensetzen, ordnen. Es ist keine fortlaufende Handlung, es gibt Rückblenden, es gibt Vorgezogenes. Um das zu erkennen, muss man allerdings den Roman gut kennen.
Eine andere Besonderheit erkennt man gut: Die SchauspielerInnen malen während des zweieinhalbstündigen Stückes im Hintergrund ein riesiges Gemälde. Schwarz und Weiß. Warum sie dies tun, blieb mir allerdings etwas verschlossen.
Man kann dem Stück ohnehin inhaltlich schwer folgen, wenn man den Roman nicht kennt. Worum es geht? A liebt B. B liebt aber C. Der Vater von C möchte aber, dass C die D heiratet. Sie, D, ist vermögend, er hat Schulden. Dann gibt es noch das Waisenkind E und ihren Großvater G. Verbindung: E’s Vater ist … der oben genannte Vater von C! A kennt E. Die Mutter von E ist gestorben. E wächst woanders auf. Und weitere Personen gibt es. Das muss man erst einmal verstehen.
Mir ist nicht ganz klar geworden, warum dieses Stück als eines der „bemerkenswerten“ des vergangenen Jahres zum Theatertreffen ausgewählt worden ist. Ohne Frage: Schauspielerische Höchstleistungen sind zu sehen. Das sieht man auch gut in der Aufnahme des Stückes, die auf 3sat noch zu sehen ist (siehe unten). Allein auch die körperlichen Anstrengungen in diesem langen Stück, in dem eigentlich alle ständig wie wild über die große weitgehend leere Bühne laufen. Es wird auch nur hektisch und laut kommuniziert.
Ohne Frage auch: Es ist eine Inszenierung, die – so wie sie gemacht ist – in jeder Hinsicht stimmig ist. Es gibt keine Brüche. Keine Schwächen, kein Auf und Ab. Alles passt zusammen. Das ist das Gefühl, mit dem ich den Abend verlassen konnte. Das Gesamtbild war ein in sich gelungenes Gesamtbild, inhaltlich war ich aber verwirrt.
Denn: Was ist an der Inszenierung so „bemerkenswert“?
- Schauspielerisch war es von jedem/jeder überzeugend, aber nicht unbedingt, fand ich, bemerkenswert.
- Nachteilig war, wie gesagt, dass man dem Inhalt kaum folgen konnte. Da wird man als Zuschauer schnell überfordert.
- Allein die gute Idee der spontanen Anordnung der Teile des Stückes durch die SchauspielerInnen auf der Bühne als „bemerkenswert“ anzusehen, wird es nicht gewesen sein.
- Das Malen eines großen Bildes im Hintergrund der weiten Bühne ist auch nicht ganz neu.
- Die Gesamtherangehensweise an diesen Roman von Dostojewski mag es eher gewesen sein. Man muss den Roman ja inhaltlich irgendwie packen, wenn man ihn auf die Bühne bringen will. Das permanente wirre und hektische Durcheinander der verschiedenen Interessen der in verschiedenen Beziehungen zueinander stehenden Personen war die Herangehensweise. Sie war aber auch erschwerend. Man konnte kaum unterschiedliche Charaktere erkennen. Alle Personen waren im Grunde gleichartig dargestellt, hektisch, total aufgedreht, überdreht, verwirrend und verwirrt.
- Es ist auch ein Stück, aus dem man – ich jedenfalls – nichts „mitnimmt“. Man hat eine Interpretation eines recht selten gelesenen Dostojewski-Romans auf der Bühne gesehen. Es ging um Liebschaften etc. in St. Petersburg um vielleicht 1850. Man identifiziert sich aber nicht – oder wohl kaum – mit einer der Personen. Gut: Man hat einen Eindruck vom Roman, das war’s.
Mein Eindruck war auch: die Inszenierung war wie eine der längst bekannten Inszenierungen von Frank Castorf – nur ohne das bei Castorf auf einer Drehbühne stehende alte Gebäude mit Neonschriftzug. Frank Castorf ohne Drehbühne. Das war die Machart. Einen Unterschied zu Frank Castorf gab es ansonsten vielleicht noch: Frank Castorf mischt gerne verschiedene Vorlagen miteinander und macht etwas sehr Eigenes daraus. Sebastian Hartmann dagegen, der Regisseur dieser Inszenierung, bleibt weitgehend bei Dostojewskis Roman „Erniedrigte und Beleidigte„. Das allein ist aber auch nicht so „bemerkenswert“.
Die Schauspielerinnen verhalten sich auch im Grunde alle so, wie sie es bei einer Castorfschen Aufführung machen würden. Auch das ist wahrlich nicht „bemerkenswert“.
Es mag einige interessante Äußerungen der Personen zum Leben und zu ihrer Lebenseinstellung – und zur Kunst – gegeben haben, diese Äußerungen gehen aber in der Hektik unter. Auch die Einschübe von Texten aus der „Hamburger Poetikvorlesung“ von Wolfram Lotz gingen für mich meist in der Hektik verloren. Sie wurden auch meist im Laufschritt und mit unglaublichem Sprechtempo vorgetragen.
Alles war inhaltlich und textlich eben eine Nummer zu viel. Wie sollte man das alles verarbeiten? Aber so sind die Zeiten heute wohl! Es muss immer viel geboten werden, es muss immer hektisch sein. Man muss beeindrucken! Man muss Aufmerksamkeit erzeugen, unabhängig davon, dass man sich im Grunde gar nicht mehr versteht! Diesen Nerv hat die Inszenierung getroffen, das schon. Aber ist das „bemerkenswert“. Vielleicht, es war eben so gesehen Fjodr M. Dostojewski nach heutiger Machart.
In diesem Zusammenhang fragte ich mich aber (wieder), ob die Jury des Berliner Theatertreffens nicht zu konservativ an die Dinge herangeht. War das wirklich einer der bemerkenswertesten Höhepunkte der deutschsprachigen Theaterszene des vergangenen Jahres? Vielleicht war die Jury ja froh, in dieser Inszenierung viele Dinge zu finden, die man bereits kennt! Stichwort Castorf. Alte Hüte neu aufgelegt.
Links:
HIER der Zugang zum kompletten Roman „Erniedrigte und Beleidigte“ von Fjodr M. Dostojewski.
HIER der link zur Seite des Stückes auf der Website des Staatsschauspiels Dresden.
HIER der Link zur kompletten Inszenierung. Auch dieses Inszenierung kann derzeit noch komplett in der Mediathek von 3sat angesehen werden. 3sat bringt jedes Jahr drei „Starke Stücke“ vom Theatertreffen.
Und HIER ein Trailer des Staatsschauspiels Dresden zum Stück.
©️ des Beitragsbildes: Sebastian Hoppe
Leave A Reply