Ich hatte bisher erst über EIN Stück des Theatertreffens 2019 geschrieben: Über „Estado Vegetal“ von Manuela Infante. HIER mein Beitrag dazu, den ich mittlerweile ergänzt habe. Das Stück hat den Inszenierungsauftrag des Stückemarktes auf dem Theatertreffen 2019 gewonnen und wird im kommenden Jahr in Bochum von Simon Stone inszeniert werden.
Jetzt komme ich zu meiner zweiten Besprechung: „Persona“ von Ingmar Bergmann. Erst – bei „Estado Vegetal“ – ging es (sehr überzeugend) um den Menschen und die Natur, jetzt geht es (sehr diffizil) um den Menschen selbst. Ingmar Bergmann hatte das Stück im Krankenhaus geschrieben. Er hatte eine Lungenentzündung. 1965 wurde der Film „Persona“ gedreht, zum ersten Mal mit Liv Ullmann.
Die Theaterinszenierung der Regisseurin Anna Bergmann mit der deutschen Schauspielerin Corinna Harfouch und der Schwedin Karin Lithman ist eine Koproduktion des Stadttheaters Malmö und des Deutschen Theaters Berlin. HIER zur Stückeseite „Persona“ auf der Website des Deutschen Theaters.
Inhaltlich: Die Schauspielerin Elisabet Vogler hört in der letzten Vorstellung der „Elektra“ plötzlich auf zu reden. Sie bringt die Aufführung dann zwar zu Ende, redet danach aber nicht mehr. So liegt sie im Krankenhaus. Die Krankenschwester Alma pflegt sie dort. Schließlich zieht Alma auf ärztlichen Rat hin mit Elisabet Vogler ans Meer, um sie weiter zu pflegen. Es geht um das Verhältnis der beiden zueinander. Es geht aber auch um die Entwicklung beider Personen selbst (letztlich werden beide Personen jeweils Teile einer einzigen Person sein …).
Reden wird nur Alma. Das Verhältnis zwischen Alma und Elisabet hat viele Facetten. Sie sind natürlich nicht alle so zu verstehen, wie Ingmar Bergmann sie verstanden haben wird. Meine Eindrücke:
- Die Schauspielerin Elisabeth Vogler will keine „Rollen“ mehr spielen. Allerdings geht es ihr nicht nur um die Beendigung ihrer Theaterrollen, sondern im Endeffekt will sie wohl keine „Rollen“ im Leben mehr spielen. Mir scheint, sie meint: Das „Rollenspiel“ im Leben sagt nichts darüber aus, wie man ist. Es verwirrt eher. Mit keiner Rolle und mit keiner Erklärung kann man sich selbst gerecht werden.
- Die Pflegerin Alma dagegen hält es kaum aus, dass Elisabet Vogler nicht mehr redet. „Sag doch bitte irgendetwas“ sagt sie. Das zeigt einen Konflikt, den vielleicht auch Ingmar Bergmann gesehen hat: Man muss sich verständigen. Wir brauchen es, gehört zu werden und reden zu können. Wir brauchen ein Gegenüber. Einerseits brauchen wir es. Andererseits schwingt immer mit, dass das Reden an sich nur an uns selbst vorbei führt. Wir brauchen das Gegenüber, aber wir halten uns dann ja immer in verfälschenden Rollen auf, die wir spielen. Kann man jemals jemanden erkennen? Kann man sich erkennen? Durch einen Wegfall der Rollen vielleicht. Vielleicht ist das der Zweck des Schweigens von Elisabet Vogler.
- Spiegelung: Es geht in diesem Stück auf jeden Fall auch um Spiegelung. Schon das Bühnenbild: Eine dünne Wasserfläche auf dem Boden, im Hintergrund blickt man auf in Muschelform angeordnete krumme Spiegel. Alles spiegelt sich. Und beide – Schwester Alma und Elisabeth Vogler – werden sich im Verlaufe des Stückes im Aussehen immer ähnlicher. Elisabet Vogler schminkt sich und Alma anfangs auch identisch. Beide Schauspielerinnen tauschen übrigens auch ihre Rollen der Alma und der Elisabet je nach Schauspielort.
- Schwester Alma kommt offenbar gerade dadurch, dass Elisabet Vogler nicht mehr redet, endlich auf ihre eigene Persönlichkeit zurück. Durch das Wegfallen der „Rollen“ – die beide ja weiter spielen könnten – entsteht wohl für Schwester Alma der wahre Spiegel, also entsteht die Möglichkeit, sich selber zu erkennen. Schwester Alma erkennt endlich ihre Person. Sie erzählt von hochpersönlichen Erinnerungen – einer Abtreibung, einer sexuelle Szene am Strand. Dinge, die sie wohl wirklich bewegen. Wie beim Psychiater.
- Es kommen bei Schwester Alma Zuneigung auf, Liebe, Ärger, Wut, Traurigkeit, Erinnerungen. Alles dadurch, dass die „Rollen“ weggefallen sind, die sonst so gespielt werden. Wie beim Psychiater.
- Ich hatte erstaunlicherweise wenig Bezug zu den beiden Schauspielerinnen. Corinna Harfouch spielte meines Erachtens ihren Part teilweise etwas zu deutlich, etwas zu übertrieben. Und Karin Lithman etwas zu farblos manchmal. Aber sie muss sich ja auch sehr zurückhalten, spricht ja auch nicht.
- Es geht auch um die Liebe des Kindes zur Mutter, fehlende „Mütterlichkeit“, wie Schwester Alma einmal feststellt. Die Angst der Mutter vor der Geburt des Kindes, erzählt sie, und die Tatsache, dass die Mutter das Kind dann eigentlich nicht will.
- Am Ende zieht sich Elisabet Vogler zurück, sie setzt sich in die Zuschauerränge. Wie ein Psychiater.
Es ist eine nicht leicht zu verstehende Inszenierung, was allerdings am sicher sehr persönlichen Inhalt liegt, den Ingmar Bergmann geschaffen hat. Die Theaterinszenierung bringt fast identisch den Originaltext von Ingmar Bergmann. Auch der Film wird nicht einfach sein. Ich habe ihn nicht gesehen. Eine Sitzung beim Psychiater (oder Psychologen). Das Bühnenbild passt ideal dazu, aber so wirklich „bemerkenswert“ – das Kriterium des Theatertreffens – war es vielleicht nicht.
Das Stück ist derzeit noch – ACHTUNG! NICHT LANGE! – in voller Länge auf 3sat zu sehen. HIER der Link.
©️ des Beitragsbildes: Arno Declair
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