Vorweg etwas: Es kommt mir schon ganz komisch vor, dass ich derzeit so viele Posts bringen. Es liegt einfach daran, dass ich – anstatt abends den Fernsehknopf zu drücken – 200 m weiter zu den Kammerspielen, 500 m zum Residenztheater oder mit dem Fahrrad ein Stückchen fahre, um mir ein Theaterstück anzusehen. Oder etwas lese oder so. Ein Blog treibt einen ja auch dazu, die Dinge weiterzuverfolgen. Und wenn ich schreibe, schreibe ich recht schnell. Also keine Angst.
Anfang Dezember hatte ich an den Münchner Kammerspielen schon einmal „Macbeth“ angesehen. HIER mein damaliger kurzer Bericht. Ich hatte damals angekündigt, noch einmal darauf zurückzukommen im Rahmen meiner großen Shakespeare-Tour. Ich habe jetzt in letzter Zeit also gesehen: „Macbeth“ von Heiner Müller am Berliner Ensemble, „Macbeth“ von William Shakespeare am Münchner Residenztheater, jetzt noch einmal „Macbeth“ von Amir Reza Koohestani an den Münchner Kammerspielen und kürzlich „Richard III.“ von William Shakespeare auch am Münchner Residenztheater (auch darüber schreibe ich bei Gelegenheit noch). Zusätzlich hatte ich das Buch „Der Tyrann“ vom großen Shakespeare-Kenner Stephen Greenblatt gelesen, in dem es um die Tyrannengestalten in Shakespeare‘s Dramen geht.
Nun also abschließend zu „Macbeth“ NACH William Shakespeare VON Amir Reza Koohestani an den Münchner Kammerspielen:
Amir Reza Koohestani ist Iraner. Man stelle sich nur vor, ein deutscher Regisseur würde sich einen persischen Klassiker vornehmen und dem persischen Publikum präsentieren. Genau so ist es doch wohl, wenn sich Amir Reza Koohestani dieses europäischen Klassikers von William Shakespeare annimmt. Zwei Welten prallen aufeinander. Diesen Abend nur „Macbeth“ zu nennen, täuscht dann natürlich. Es greift an sich zu kurz. Treffender wäre es – von der ganzen Inszenierung her – sicher gewesen, diesen Abend etwa „Macbeth iranisch/deutsch“ zu nennen. Das ist es ja, was man an diesem Abend sieht: Die Konfrontation des europäischen „Klassikers“ mit dem Versuch, ihn aus persischen Augen zu verstehen. Das ist das Thema des Abends.
Amir Reza Koohestani zieht „Macbeth“ deshalb an diesem Abend zunächst einmal auf eine Metaebene: Er zeigt, wie ein Regisseur, gespielt von Christian Löber (siehe das Foto oben), die Aufführung von Macbeth in letzten Zügen mit einigen Schauspielern vorbereitet. Die von ihm vorgesehene Schauspielerin für Macbeth‘s Ehefrau, Lady Macbeth, fällt kurz von der Premiere aus. Der Regisseur, der auch den Macbeth spielen würde, setzt kurzfristig seine persische Frau für diese Rolle ein, die von der persischen Schauspielerin, Journalistin, Regisseurin, Schriftstellerin Mahin Sadri gespielt wird. Und so beginnen die Probleme. Sie tastet sich natürlich an Shakespeare so heran, dass sie den Text erst einmal auf Farsi liest und spricht. Wie soll sie ihn sonst verstehen. Christian Löber als Regisseur hat schon damit seine Probleme. Aber auch später, wenn Mahin Sadri den Text spricht, hat er damit Probleme. Sie betone falsch.
Aber es kommen noch weitere Ebenen hinzu. Es ist eine kluge, und insgesamt nicht leicht zu verstehende Inszenierung. Man muss Shakespeare‘s Macbeth gut kennen, nur Stück für Stück wird die Geschichte in bestimmten Einzelheiten weiter erzählt. Im Grunde kommt hinzu, dass auch der Regisseur und Protagonist seines eigenen Stückes „Macbeth“, wie gesagt gespielt von Christian Löber, immer mehr Unverständnis für Shakespeare’s „Macbeth“ zeigt. Er wird völlig verwirrt. Andererseits geht er in seinem Projekt „Macbeth“ auf und hat ständig einzelne Szenen vor Augen. Er schaut in den Spiegel und sieht Macbeth!
Und es kommt hinzu, dass sich auch für ihn die Ebenen – das Private und seine künstlerische Tätigkeit – immer mehr verweben. So wird er einmal von seiner Frau gefragt: „Bist du ein Mann?“ Die Frau meint es als Textstelle von Shakespeare, gesprochen von Lady Macbeth. Der Mann fasst es als private Äußerung auf und reagiert etwas angesäuert zurück. Oder er redet anfangs mit einem Schauspielerkollegen – Stefan Merki – auf dem Pissoir über das Verhältnis von Macbeth zu seinem Freund Banquo, den er schließlich umbringen wird. „Was würdest Du denn machen, Dein bester Freund!“ fragt der Kollege und bedrängt Christian Löber geradezu. Oder er wird einmal fast neben der Bühne, glaube ich verstanden zu haben, ans Telefon gerufen mit dem Hinweis, Macbeth sei am Apparat. Und alles ist ja immer der Versuch des Iraners Amir Reza Koohestani, Shakespeare’s „Macbeth“ zu verstehen.
Die Inszenierung ist klug, teilweise humorvoll, teilweise ernst. Übrigens schön begleitet von dem starken, lauten Gesang einiger Shakespeareworte durch die polnische Musikerin Polly Lapkovskaja. Es zeigen sich insgesamt die immensen Schwierigkeiten, die sich ergeben, wenn ein iranischer Regisseur einen europäischen Klassiker auf die Bühne bringen will. Wie gesagt: Wie wäre es umgekehrt? Man könnte nur Fettnäpfchen erwischen! Aber es lohnt sich doch, sich mit fremden Klassikern – aus iranischer Sicht – auseinanderzusetzen. Auch wenn man an diesem Abend das Theater verlässt und sich sagen kann: Shakespeare verwirrt alle! Und alle scheitern irgendwie an Shakespeare‘s Macbeth.
Was ich übrigens dementsprechend davon halte, Shakespeare immer weiter als europäischen „Klassiker“ zu verstehen, werde ich noch etwas deutlicher, glaube ich, schreiben, wenn ich über „Richard III.“ schreibe.
©️ des Beitragsbildes: Thomas Aurin, Münchner Kammerspiele
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