Hungry Ghosts ist die erste Inszenierung der polnisch-französischen Regisseurin Anna Smolar in Deutschland, es wird an den Münchner Kammerspielen gezeigt. Die Premiere von “Hungry Ghosts“ war am vergangenen Samstag, 22.10.2022.
Anna Smolar

hat sich dazu ein Thema genommen, das sie auch persönlich wohl betraf: Es geht um das verborgene Einwirken von Erlebnissen früherer Generationen (des eigenen Familienstammes, der Eltern, Großeltern etc.) auf das Leben der Nachfahren. Bei manchen Menschen zeigen sich im Laufe des Lebens durchaus geradezu körperliche Erscheinungen, die – so die Theorie der Wissenschaft – auf Bestandteile der nicht selbst erlebten Vergangenheit des Familienstammes (etwa alte Traumata) zurückzuführen sind. Anna Smolar greift in ihren bisherigen Inszenierungen gerne auf wissenschaftliche Themen zurück.
Ein ähnlicher Aspekt ist derzeit übrigens auch Thema am Münchner Residenztheater – dort mit dem sehr gelungenen fünfstündigen Abend „Die Träume der Abwesenden“. Ich fand (HIER mein Beitrag dazu mit weiteren Links) den dortigen Ansatz damals auch schön: Wir leben im Grunde die „Träume der Abwesenden“ – also der Verstorbenen. Ja, wer weiß?
Aber am Residenztheater ist es nur ein „ähnlicher“ Ansatz, nicht der gleiche Ansatz wie bei Anna Smolar. „Träume“ (Residenztheater) sind nicht immer „Traumata“ (Kammerspiele), auch wenn es bei den „Träumen“ im Residenztheater um die schreckliche jüdische Vergangenheit einer Großfamilie geht. Bei Anna Smolar an den Kammerspielen geht es also um Traumata, um das Eingebranntsein der Vergangenheit in die Gene späterer Generationen – „Epigenetik“ nennt sich die Wissenschaft dazu. These: Auch nicht erlebte Vergangenheit kann krank machen. Man trägt alles in den Genen.
Im „heutigen Leben“, das bei Hungry Ghosts zunächst sehr harmlos gezeigt wird, wird „ein Theaterstück geprobt“, eine Komödie. Langsam schiebt sich aber eben die Vergangenheit der SchauspielerInnen in die Gegenwart hinein. Die Hauptdarstellerin kann nicht weiterspielen, sie leidet plötzlich an Kopfschmerzen und verliert ihren Humor. Mehrere Schicksale der Vergangenheit kommen ans Tageslicht. Es mündet schließlich in einen langen Monolog („Jackies Monolog“), der von Mira Marcinov zu diesem Stück beigetragen wurde. All die Schicksale der Vergangenheit behindern den weiteren Lauf der „Entwicklung der Komödie“, die hier gespielt werden soll. Die Proben werden ein Desaster.
Das Thema des Abends (Epigenetik) hat mit „Jackies Monolog“ seinen Höhepunkt, in dem über Ereignisse – mehrere Selbstmorde – der Vorgenerationen berichtet wird (Onkel Pavel, die Großmutter, die Mutter fast). So etwas kann sich dann offenbar in die Gene weiterer Generationen einbrennen!
Es bleibt aber insgesamt eine relativ einfache Darstellungsweise. Die gesprochenen Texte sind zusammen mit dem Ensemble entwickelt, daher nicht sehr tiefschürfend. Das einfache Bühnenbild – im Grunde rollbare Trennwände, die mit Türen und Fenstern eine Perspektive und Räume vorspiegeln – ist der Tatsache geschuldet, dass ja die „Übung eines Theaterstückes“ gespielt wird.
So ist es letztlich ein eher amüsanter Abend, bei dem sich Slapstick mit tiefgehenden Vergangenheitsproblemen vereinen, die, wie gesagt, der „Epigenetik“ zugeordnet werden. Und als Zuschauer wurde man zumindest vom Thema der „Epigenetik“ angestupst und konnte danach überlegen: „Was könnte wohl in meinen Genen eingebrannt sein?“
HIER der Link zur Stückeseite von „Hungry Ghosts“ auf der Website der Münchner Kammerspiele.hier der Link zur Stücke Seite auf der Website der Münchner Kammerspiele.
Und HIER der Link zur Stückeseite von „Die Träume der Abwesenden“ auf der Website des Münchner Residenztheaters.
Copyright des Beitragsbildes: Maurice Korbel