Man sollte wissen, auf was man sich einlässt, wenn man sich dieses Theaterstück ansieht. Es hatte am vergangenen Samstag, dem 15. Juni 2019, Premiere an den Münchner Kammerspielen. „Melancholia“ von Lars von Trier. Eine Inszenierung von Felix Rothenhäusler.
Das Fazit vorweg: Felix Rothenhäusler blieb fast nichts anderes übrig, als es so zu machen, wie es geworden ist. Denn da ist zum Einen der eigenwillige, fast mystische Film „Melancholia“ von Lars von Trier und da ist zum Anderen Felix Rothenhäusler, der zu puristischer Darstellungsform neigt. So war es auch – irres Thema, schlicht und anstrengend! Vielleicht ging durch die Kombination von Lars von Trier und Felix Rothenhäusler bei der Bühnenfassung etwas an Prägnanz verloren.
Ein Film auf der Bühne, das allein heißt schon: Man sollte sich, wenn möglich, ein wenig mit dem Film auseinandersetzen! Vorher oder nachher. Man geht wahrlich nicht in eine „Komödie“ und man schaut sich nicht einfach „irgendein Theaterstück“ oder einen „Klassiker“ an, am besten mit dem Ziel der Unterhaltung. Man sieht diesen irren Film auf der Bühne!
„Melancholia“ ist ein Film des dänischen Filmemachers Lars von Trier. Lars von Trier, keine ganz harmlose Gestalt. Der Film erschien 2011 und wurde mehrfach prämiert.
(Ich finde ja, dass das Marketing vieler Theater manchmal mehr bringen könnte. Man wird nicht immer gerade gut darauf vorbereitet, was man sich anschaut! Da könnte es manches Mal viel interessanter sein, besser vorbereitet zu sein. Jedenfalls eine Ahnung davon zu haben, WAS man sich ansieht, Zusammenhänge zu erkennen etc. Mehr Infos neben der Programmankündigung, vielleicht einmal ein Interview oder so.)
Man sagt ja, es ist ein „Endzeitfilm“. Kurz gesagt: Melancholia erzählt tatsächlich von einer (depressiven) jungen Frau, Justine, die das Ende der Welt (durch die Kollision mit einem anderen Planeten – Melancholia, der im „Todestanz“ um die Erde kreist) vorhersieht. Sie feiert mit Familie und Freunden in edler Atmosphäre ihre Hochzeit und rutscht immer mehr in ihre „Depression“ hinein, distanziert sich vom opulenten Geschehen. Wobei: Es ist vielleicht gar keine Depression. Sie selber scheint immer weniger aufgeregt zu sein, als (in den Folgetagen) ihre Schwester Claire und ihr Mann, der sich sogar umbringt.
Links? Bitte sehr, hier sind erst einmal einige interessante links:
HIER ein offizieller Trailer des Films. Eine etwas längere, recht kenntnisreiche Besprechung des Filmes gibt es dann HIER. HIER ist einer Besprechung des Films, die im Deutschlandfunk erschien. HIER findet sich wiederum eine Besprechung des Films auf Spiegel online. Zum Film gibt es übrigens eine offizielle Website: HIER. Und HIER findet sich die Seite der Kammerspiele zur jetzigen Inszenierung. Von anderen Inszenierungen lese ich übrigens wenig. Es gab eine „Uraufführung“ am Bochumer Schauspielhaus im März 2018. HIER einen Trailer dazu auf YouTube.
Das meiste oben bezieht sich auf den Film. Ich habe mir den Film auch erst einmal ansehen müssen. Auf http://www.kinox.to konnte ich ihn sehen (hoffentlich ist das hier keine illegale Empfehlung. Ich werde es prüfen und gegebenenfalls wieder löschen).
Zur jetzigen Inszenierung an den Münchner Kammerspielen hier noch eine Aufnahme:

Und dann Folgendes:
- Felix Rothenhäusler hat also inszeniert. Er experimentiert ja gerne auf nicht ganz einfachen Niveau. Allein wenn man sich das Programmheft der Inszenierung von „Melancholia“ durchliest, bekommt man eine Ahnung davon. Wenn man den äußerst schwierigen Text zum Stück überhaupt versteht.
- Es passt sehr gut: Schwarze große Bühne – zwölf Lichtstrahler hängen von der Decke – fünf SchauspielerInnen kommen und gehen über die Bühne – keine Gegenstände – schwarzer Boden, etwas erhöht auf Glasflächen – keine Opulenz – nichts. Siehe das obige Beitragsbild. Ein drohender grummelnder Ton schwirrt über allem – im Film ist es die Ouvertüre von „Tristan und Isolde“.
- Die SchauspielerInnen und die leere Bühne hängen gewissermaßen im All. Darum geht es ja auch bei „Melancholia“, zumindest vordergründig: Das All, die Erde als Planet mit der großen Frage: „Was soll das alles. Das kann und wird doch alles zu Ende gehen“. Und es kam dadurch nur auf das Verhältnis der Personen zueinander an.
- Felix Rothenhäusler lässt die SchauspielerInnen das Geschehen schlicht „erzählen“, direkte Rede und Erzählung. Jeder hat aber seine Rolle. Das mag er. Er spielt gerne mit den Worten. Auch in seiner „kleineren“ Inszenierung „Trüffel Trüffel Trüffel“, die auch an den Kammerspielen „läuft/lief“, stehen die SchauspielerInnen nebeneinander auf der Bühne und reden. Wie gegen Ende von „Melancholia“. Mehr „Experiment à la Rothenhäusler“ war dagegen ja geboten in seine Inszenierung „Re:search“. In „Melancholia“ kommt sein „Experimentierdrang“ nicht so zur Geltung. Gottseidank. Das Thema von „Melancholia“ ist auch an sich schon intensiv genug! Das auch noch mit Experimentiergedanken zu „Wort und Geste“ (oder ähnlich) zu verbinden, hätte wahrscheinlich völlig überfordert. Es hätte ein falsches Thema draufgesetzt.
- „Melancholia“ ist aber gerade wegen der ausschließlichen Wortlastigkeit durchaus anstrengend. Ohne Video, ohne Musik, ohne Lichteffekte oder andere Effekte, ohne Brimborium. Wenigstens schlicht und nicht so bedrängend wie Ulrich Rasche (siehe meine wunderbaren Rasche-Besprechungen über das Suchfeld oben). Dennoch soll natürlich Atmosphäre rüberkommen. Gut, bei „Trüffel Trüffel Trüffel“ und “Re:search“ war die Atmosphäre aufgrund der Stücke nicht so wichtig. Bei „Melancholia“ ist sie dagegen durchaus wichtig, denke ich. Aber auch da verzichtet Rothenhäusler auf Andeutungen. SchauspielerInnen und Text. Das ist alles.
- Die Atmosphäre konnte hier also nur über die SchauspielerInnen rüberkommen, durch ihre Mimik fast nur. Julia Riedler als Justine: Sie wirkte für mich fast etwas ZU depressiv, zu verzweifelt, letztlich ist sie es doch, die im Film Ruhe ausstrahlt, Ruhe vor dem Untergang. Thomas Hauser als der „glückliche Ehemann“, es geht hier ja um eine Hochzeit: Für mich war er sogar – obwohl eher eine kleinere Rolle innehat – am überzeugendsten. Eva Löbau als die Schwester Claire von Justine: Resolut, aber meines Erachtens wiederum ZU WENIG verstört und hilflos angesichts der drohenden Katastrophe. Sie hat eine unglaublich klare Bühnesprache. Majid Feddah der irgendwie „üble“ vermögende Ehemann von Claire: Auch diese Rolle kann er gut spielen! Gro Swantje Kohlhof als Sohn Leo lief etwas nebenbei.
Alles in allem haben mich die Interpretationen der Personen auf der Bühne etwas verwirrt. Die einzelnen Positionen der Personen und ihre Abgrenzungen voneinander gingen mir durch das ständige Weitererzählen der Story (oft auch von eher unwichtigen Einzelheiten) etwas verloren. Vor allem leider bei den beiden Hauptfiguren Justine und Claire.
Mein Eindruck ist auch: Man könnte sich vielleicht auch sagen, Justine denkt an den Tod, nicht an den Weltuntergang. Ein Stück um Leben und Tod wäre es dann. Wir alle haben ihn ja vor uns. Justine sieht deswegen die Sinnlosigkeit von allem. Das führt in der Tat leicht in die Depressivität. So können wir ja nicht leben! Das ist ja vielleicht auch das Thema von Melancholia: Wir haben ein Ende vor uns, können deswegen aber nicht in Trauer verfallen. Habe Spaß! Das hört man mehrfach. Die eigene Hochzeitsfeier ist so gesehen in „Melancholia“ das Extrembeispiel der Sinnlosigkeit! Justine geht ja auch gleich in der Hochzeitsnacht fremd.
Andere, ihre Schwester Claire vor allem, sehen dann auch mehr und mehr das drohende Ende. Sie sehen auch, dass sie das Ende ja nicht verhindern können. Sie gehen aber anders daran heran, „weltlicher“. Sie haben nicht die Ruhe, die Justine hat, die fast die Erlösung sieht. Justine sieht die Unausweichlichkeit. Claire dagegen wird nervös, hektisch, will etwas tun. Sie will hilflos irgendwohin fahren, wo man mehr weiß, sie möchte dann einen „schönen“ Abschied auf der Terrasse bei Rotwein und Gesang. Ihr Mann macht schon einmal Besorgungen für den „Notfall“, etc. Alles völlig hilflose Bemühungen angesichts des nahenden Endes.
Tja, wie wir eben bei alledem das Ende, diese verdammte Vergänglichkeit, nicht wahrhaben wollen. „Melancholia wird an der Erde vorbeiziehen, sagen die Wissenschaftler“, will der Schwager von Justness mehrfach beruhigen, bis er das Gegenteil erkennt. „Das wird das Schönste, was wir je erleben werden!“. Eben nicht!
Und: Es ist ganz anders, als das Stück „Drei Schwestern“ von Susanne Kennedy nach Anton Tschechow, das derzeit ebenfalls an den Kammerspielen gezeigt wird. Dort geht es um den Gedanken: Es gibt kein Ende, es wiederholt sich alles immer wieder, immer wieder. Es hört nicht auf. Es ist ein endloser Loop. Stell dir vor, du musst alles noch einmal leben, etc.
Ich finde, man sollte sich bei Melancholia beides ansehen, wenn man es noch nicht kennt, Film und Bühnenfassung!
©️ des Beitragsbildes: Armin Smailovic
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