Es erinnerte ein wenig an ein Stück, das viele Jahre lang fast ein Klassiker der Münchner Kammerspiele war: „Susn“ von Herbert Achternbusch. Auch „Susn“ wurde bis vor wenigen Jahren immer auf der kleinsten Bühne der Münchner Kammerspiele gespielt, dem „Werkraum“ im dritten Stock über dem Restaurant Conviva im Blauen Haus. Jetzt also „5-6 Semmeln und eine kalte Wurst“.
„5-6 Semmeln und eine kalte Wurst“ ist ein Abend allein von und für Annette Paulmann, sie ist die Regisseurin und die einzige Darstellerin. Schön, sie, die seit vielen vielen Jahren Mitglied des Ensembles der Kammerspiele ist, so in aller Vertrautheit der kleinen Bühne des Werkraum erleben zu können. „Susn“ war ja ein Stück für zwei Personen, aber auch dort war man erfreut, dass man die beiden damals so bekannten Gesichter der Kammerspiele Brigitte Hobmeier und Edmund Telgenkemper so nah brillieren sehen konnte. Wie jetzt im Falle von Annette Paulmann!
Es reicht/reichte in beiden Fällen eine schlichte Bühnenausstattung. Tisch, Stuhl, jetzt ein Bett, wenige Alltagsgegenstände. Beide Produktionen zeichnen sich durch eine große Schlichtheit und Klarheit in der Darstellung aus. Auch durch große Sachlichkeit. Kein Tamtam, es ist/war in beiden Fällen eine Erzählung. Die Erzählung eines Frauenschicksals jeweils. In beiden Stücken geht es dabei um alle Altersstufen dieser Frauen. In „ 5-6 Semmeln und eine kalte Wurst“ geht es um Lena Christ, die ihr recht kurzes Leben in ihrem Buch „Erinnerungen einer Überflüssigen“ erzählte. Annette Paulmann erzählt aus diesem tragischen Leben.
Natürlich kann man sich aktuell sagen: „Die Welt gerät völlig aus der Fugen und ich schaue mir das Schicksal einer einzelnen Person an! Passt das?“ Die Frage scheint berechtigt. Andererseits: Die Welt geriet schon oft aus den Fugen, stand am Abgrund, und trotzdem bleibt immer auch der Blick auf das Einzelschicksal. Gerade in Literatur und Theater. Das Leben ist klein, die Welt ist groß, die Welt kann offenbar nicht kontrolliert werden.
Ein Einschub aus aktuellem Anlass: Meine Idee wäre ja, dass Israel – bevor man mit Bodentruppen in Palästina eindringt – einen Grenzzugang zu Palästina öffnet und all die fürchterlich betroffenen, leidenden Menschen – vor allem alle Frauen und Kinder – in einen abgegrenzten Bereich auf israelischem Boden ausreisen lässt. Ein abgegrenzter Bereich natürlich, damit sich nicht Terroristen in Israel einschleusen. Und dieser abgegrenzte Bereich kann auch humanitär gut versorgt werden. Und Israel würde damit Menschlichkeit zeigen!
Lena Christ hatte eine fürchterliche Kindheit und Jugend. Sie wurde vor allem von ihrer Mutter, die in München lebte und dort eine Gastwirtschaft führte, permanent grausam geschlagen, erniedrigt. Die ersten sieben Jahre von Lena Christ, die sie in Glonn bei ihrer Großmutter verbrachte, waren noch glücklich, dann wurde sie von ihrer Mutter nach München geholt, um in der Gastwirtschaft zu helfen.
Annette Paulmann verwebt die Erzählung des Lebens von Lena Christ mit Erzählungen über das Leben einer anderen Frau. Nicht ganz klar bleibt dabei, ob es sich hier um Annette Paulmann autobiographisch oder um eine andere Person handelt. Prägend für den Abend bleibt ohnehin die Erzählung des Lebens von Lena Christ. Man folgt der Geschichte und kann sich nur denken: „Wie kann eine Mutter nur so brutal, so missachtend und seelenlos mit ihrer eigenen Tochter umgehen?“ Das wiederum ist allerdings eine Frage, die an diesem Abend nicht gelöst wird. Der Abend erzählt die Gegebenheiten, er forscht nicht weiter nach, er stellt keine Fragen in den Raum und keine Antworten. Annette Paulmann zeigt bei all diesen düsteren Erzählungen und düsterem Ausdruck sogar immer wieder auch geradezu ein leicht verschmitztes Lächeln – vielleicht dem Tonfall im Buch von Lena Christ folgend.
Das lässt mich aber ein wenig ratlos zurück. Auch das Ende der Erzählung, wonach die Mutter zur Tochter sagt: „Und? Hat es Dir geschadet?“, bleibt in der Luft hängen. Was für eine Frage! Lena Christ hat sich im Juni 1920 letztendlich im Alter von 39 Jahren das Leben genommen, verarmt, heruntergekommen. Es hat also durchaus geschadet! Annette Paulmann wiederum tanzt kurz vor dem Ende des Abends ausgelassen über die Bühne. Wie nach dem Motto: Das Leben hat letztendlich schöne Seiten! Schöne Seiten sieht man an diesem Abend aber nicht. Auch wenn mehrfach deutlich wird, dass die Tochter trotz allem nie von ihrer Liebe zur eigenen Mutter loslassen kann. Man sieht aber jedenfalls endlich einmal Annette Paulmann näher!
HIER der Link zur Stückeseite auf der Website der Münchner Kammerspiele.
Copyright des Beitragsbildes: Judith Buss
Leave A Reply