Was haben Bundespräsident Frank-Walter unser aller Steinmeier und der japanische Philosoph Kohei Saito gemeinsam? Ganz wenig, aber dennoch: Es sind – bei Steinmeier: „vielleicht“ und bei Kohei Saito: „sicher“ – Bedenken beim Gedanken an die ewige Gewinnmaximierung zu Gunsten von Anteilseignern. Also Bedenken gegenüber dem blanken Kapitalismus, den wir alle leben.
Der japanische Philosoph Kohei Saito einerseits: Er würde grundsätzlich sagen: Weg vom Kapitalismus! In seinem „radikalen“ Buch „Systemsturz“. Der „Gebrauchswert“ muss es sein, nicht der kapitalistische „Marktwert“! Der bloße Marktwert ist Kapitalismus, in dem wir (noch) leben. Der Gebrauchswert ist für die Rettung der Welt entscheidend, nicht der „Marktwert“. Der bloße Marktwert interessiert vor allem den Anteilseigner, der einfach verdienen will, egal bei welchem Produkt. Dem Marktwert ist der eigentliche Gebrauchswert eines Produktes völlig egal, auch wenn alles – die Welt – kaputt geht. Kohei Saito untersucht vor diesem Hintergrund in seinem Buch „Systemsturz“ ganz grundsätzlich den „Kampf“ zwischen Kapitalismus und Naturerhaltung – den die Natur verlieren wird.
Frank-Walter unser aller Steinmeier andererseits: Er, den ich hier einmal kurz daneben stelle, spricht über eine „kleine Münze“ INNERHALB DES Kapitalismus, ein Mosaiksteinchen: Bei Frank-Walter unserem Steinmeier war es eine kleine Rede, eine Rede über eine evtl. neue Rechtsform, die sogenannte „Verantwortungsgesellschaft“, die „GmbH-VE“. Ein kleines Pflänzchen, bei dem man merken kann, dass vielleicht ein gewisses Unwohlsein gegenüber dem brutalen Kapitalismus mitschwingt. Siftungsähnlich, ohne Gewinnausschüttungen. Immerhin. Etwas mehr an Verantwortung (des Unternehmens) könne ja ruhig sein – wenn auch nicht nur für die Natur. HIER die Rede von Frank-Walter.
Steinmeiers Ansatz wäre für Kohei Saito völlig irrelevant. Eine neue Rechtsform und dann weiter so! Kohei Saito hat ein Buch geschrieben, mit dem er fundamental Systemkritik am Kapitalismus übt. Er steht AUSSERHALB DES Kapitalismus. Das ist eine andere Dimension. Wertvolle Überlegungen, alles muss bedacht werden!
Schon ist man jedenfalls mitten im Kern des Buches von Kohei Saito: Kapitalismus und unsere Welt! Kann man durch – kleinere oder auch größere – Änderungen des Kapitalismus die Welt noch retten? Oder ist grundsätzlich der Kapitalismus – der Gedanke des ewigen Wachstums – die Ursache für die Zerstörung der Welt? So sieht es Kohei Saito mit seiner eigenen, nicht immer leichten, aber guten Argumentation in seinem Buch „Systemsturz“.
Kohei Saito hat also über den elementaren Widerspruch, den er zwischen Kapitalismus (also ewigem Gewinnstreben) und der Erhaltung der Welt sieht, das Buch mit dem deutschen Titel „Systemsturz – Der Sieg der Natur über den Kapitalismus“ geschrieben. Das Buch ist kürzlich (im August) in Deutschland erschienen. In Japan war es schon ein rasanter Erfolg: Schnell waren 500.000 Exemplare verkauft.
Die Reaktorkatastrophe von Fukushima, März 2011, hatte Kohei Saito auf ein Phänomen aufmerksam gemacht, das überdeutlich im Raum stand, wie ein Elefant im Raum. Wie kommt es, so fragte er sich – damals 24 Jahre alt, Student der Philosophie in Berlin – wie kommt es, dass kaum jemand auf die direkte Verbindung zwischen den immer brutaler zutage tretenden Problemen der Ökologie – Klimawandel, rücksichtslose Ausbeutung von Ressourcen, Ozeane voller Müll – und der Ursache dieser Erscheinungen, nämlich dem kapitalistischen Wirtschaftssystem, hinweist?
In Berlin war Kohei Saito auf die Aufzeichnungen, Notizen, Briefe, Entwürfe etc. von Karl Marx gestoßen, war tief eingetaucht in die Forschung. Er arbeitet mit im Herausgebergremium der großen Marx-Engels-Gesamtausgabe.
Kohei Saito geht im Buch „Systemsturz“ immer wieder darauf ein, dass der spätere Karl Marx nichts zu tun hat mit dem gescheiterten kommunistischen System der Sowjetunion. Karl Marx hat im Laufe seines Lebens gravierende Änderungen an seinen Theorien erlebt. Während er etwa ursprünglich dachte, der Kapitalismus, der „Produktivismus“, müsse sich austoben, um dann zum Kommunismus zu führen, hat er von der Idee des Austobens des Kapitalismus später Abstand genommen. Vor allem die späten Lebensjahre von Karl Marx zeigen Saito, dass Karl Marx sich immer mehr Gedanken machte über den Riss zwischen Mensch und Natur. Man muss beim Lesen dieses Buches die Offenheit mitbringen, diesen „ökologischeren“ Karl Marx anzuerkennen. Der Gedanke an Karl Marx, der sich durch das Buch zieht, stört fast ein wenig, man denkt ja an den Kommunismus der Sowjetunion. Doch davon muss man sich lösen, dann sieht man: Im Ergebnis wird Kohei Saito recht haben: Der Kapitalismus mit seinem Grundgedanken des ewigen Wachstums wird unweigerlich dazu führen, dass die Natur immer weiter ausgebeutet wird.
Auch ein „ökologischer Kapitalismus“ oder „ökologischer Keynesianismus“ würde daran nichts ändern. „Greenwashing“ als Schönrednerei ohnehin nicht. Und dann gibt es noch Überlegungen zur „Abschwächung“ des Wachstums im Kapitalismus: Selbst dieser „Degrowth im Kapitalismus“ würde aber letztlich nach Kohei Saito nichts ändern. Kohei Saito legt vielmehr dar, dass das kapitalistisches System ganz grundsätzlich verlassen werden muss! Als einzig denkbare Lösung! Durch „Degrowth im Kommunismus“. Nicht aber im Sinne des bisher bekannten kommunistischen Systems, das immer diktatorisch ist und war. Sondern im Sinne gemeinsamer Verantwortung.
Kohei Saito weiß sehr wohl, dass wir wahrscheinlich nicht imstande sind, das kapitalistische System aufzugeben. Seine Idee ist zu „global“. Was er aber empfiehlt: Lokal beginnen, im kleinen beginnen, Netzwerke schaffen. Er bringt Beispiele, die in diese Richtung gehen. Er nennt ein sogenanntes „Netzwerk der Fearless Cities“, dem mittlerweile 77 Städte weltweit beigetreten sind, auch in Afrika, Südamerika und Asien. In Europa verweist er auf Amsterdam, Paris und vor allem Barcelona. Kleine Selbstverwaltungen vor allem, um das System kapitalistische Ausbeutung abwerfen zu können. Durch die gemeinsame Verwaltung und Verantwortung für sogenannte „commons“, also Güter, die jedem Menschen unbegrenzt zur Verfügung stehen sollten.
Wie gesagt: Der Blick darf sich nicht weiter nur auf den „Marktwert“ eines Produktes richten. Für den Marktwert ist der gesellschaftliche Nutzen eines Produktes völlig unwichtig. Hauptsache „Marktwert“. Entscheidend sei der „Gebrauchswert“, der den gesellschaftlichen Nutzen widerspiegelt. Dieser Gebrauchswert muss in den Mittelpunkt rücken. Nur so können auch die Natur vor endlose Ausbeutung geschützt werden.
Das Buch „Systemsturz“ liest sich nicht immer schön, man braucht Geduld, auch Zeit, man stolpert manchmal gedanklich kurz wegen Ungenauigkeiten, es setzt sich aber in vielen vielen Details mit einer ganz entscheidenden Frage auseinander: Können wir mit dem Kapitalismus so weitermachen? NEIN, ist Kohei Saitos Meinung – die ich gut verstehe.
HIER eine Besprechung des Buches auf SWR.
Auch die Volkshochschule München kümmert sich übrigens momentan um dieses Thema: Veranstaltungen am 13.11. (HIER) und am 01. 12. (HIER) über die Gedanken „Wirtschaft ohne Wachstum“ und „Degrowth“. Vielleicht wächst die Idee, das Interesse an solchen Überlegungen und Initiativen. Kohei Saitos Gedankenspiel ist jedenfalls wahrscheinlich richtig, aber unglaublich radikal. Er selbst sieht aber – wie gesagt – in globalen Netzwerken der kleinen entstehenden Anstrengungen eine Chance.
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