Medea: „Ich war von Liebe überwältigt … ich bin in tiefster Seele gekränkt … ich werde von Grund aus vernichtet … ich fühl garnichts mehr … hin ist das Vertrauen … ich kann das nicht begreifen … ich hab Angst … die Welt ist aus den Fugen … alles ist weggebrochen … ich geb auf … ich hab Angst vor Gewalt“. Dass sie dann ihre beiden Kinder tötet, ist nicht gesichert. Es ist die Erzählung des Mythos durch Euripides, andere sagen, die Korinther hätten die Kinder getötet und hätten Euripides Geld dafür gegeben, sein Drama eben anders zu schreiben, nicht von der Tat der Korinther zu berichten.
Ich gehe einmal davon aus, dass viele der sicherlich zigMillionen Leser dieses Blogs – verteilt über das weite Rund der Erde, vor ihren Bildschirmen sitzend und ständig auf bessere Zeiten und weitere Blogbeiträge hoffend – Theaterfreunde sind und den Namen Leonie Böhm kennen. Sie hat am Schauspielhaus Zürich „Medea*“ inszeniert, dort ist sie aktuell eine der HausregisseurInnen. Es war letzte Woche im Livestream zu sehen. Die Inszenierung wurde zum Theatertreffen Berlin 2021 eingeladen, das im Mai wieder stattfinden soll. Wie die Inszenierungen dort wiederum zu sehen sein werden, wird noch bekanntgegeben werden. Online? Präsenz? Wir werden sehen.
Es geht – wieder einmal bei Leonie Böhm – nicht um die Darstellung der bekannten Geschehnisse um Medea. Leonie Böhm verfolgt auch hier wieder wenige tragende Gedanken zwischen den Zeilen eines Dramas.„Ich benutze die Klassiker und die Stücke immer dazu, um eine bestimmte Fragestellung zu untersuchen“, sagt sie in einem Interview mit Deutschlandfunk Kultur. Oft – nicht immer – sind es feministische Ansätze, die sie verfolgt. Eine ihrer ersten Arbeiten hieß etwa „Nathan die Weise“ nach Lessing. Oder zuletzt an den Münchner Kammerspielen: „Die Räuberinnen“ nach Schiller. „Und bei Medea hat mich sehr stark die Frage interessiert: Wie kommt man eigentlich aus einer Ohnmachtssituation und aus einer Ungerechtigkeitssituation wieder in die eigene Handlungsmacht?“ Das Feministische spielte bei ihrer Inszenierung Medea keine Rolle. Medea ist ja eine Frau! Sie hätte eher den Spieß umdrehen können, hätte den männlichen „Medeus“ daraus machen können.
Es ist ja eine in gewisser Weise immer wieder aktuelle Situation: Eine Frau, die von ihrem geliebten Mann betrogen und verlassen wird. Oder andersherum: Ein Mann, der von seiner geliebten Frau verlassen wird! Es wird höchst selten zur Ermordung der eigenen Kinder kommen, kann aber sicherlich zu Ohnmacht und Depression führen. Liebe kann unermesslich sein, die Enttäuschung dann auch! Euripides sah diese Unausweichlichkeit! Also: Wie kommt man da wieder raus? Muss es Rache sein? Diese Frage beschäftigte Leonie Böhm.
Im Gegensatz zur Tragödie von Euripides treten bei Leonie Böhm nur zwei Personen auf: Die Schauspielerin Maja Beckmann – Medea – und der Musiker Johannes Rieder, er stellt quasi den antiken „Chor“ dar, der Medea beobachtet, mit ihr spricht, im Hintergrund bleibt, musiziert, selten eingreift. Die Bühne ist – siehe Beitragsbild – komplett mit weißen Tüchern verhangen. Man fühlt sich – zeitlos – wie im Inneren von Medea, vom Wahnsinn eingesperrt. Erst gegen Ende der Inszenierung fallen alle weißen Tücher in sich zusammen. Musikalisch wiederum schön begleitet von Johannes Rieder und seinem rauhen Summen einer ruhigen Melodie am Klavier, scheint Medea dann aus ihrem Wahnsinn herauszukommen. Überhaupt wird die Inszenierung meines Erachtens geprägt von der zurückhaltenden Musik von Johannes Rieder, auch von ihm als Beobachter des Geschehens. Er zupft an der Gitarre, spielt ein wenig am Klavier. Er war es für mich, der die Inszenierung mit seiner Musik und seinen wenigen Worten prägte. Er mit seiner Erscheinung. Obwohl natürlich Maja Beckmann als Medea im Grunde im Mittelpunkt steht.

Auch wenn Leonie Böhm versucht, mit dieser Inszenierung herauszuarbeiten, wie Medea doch aus ihrem Wahnsinn herauskommen könnte (hätte können): Es wird irgendwie leider nicht ganz deutlich. Natürlich will Leonie Böhm keine Lösung präsentieren, darum geht es nicht. Natürlich kann alles offen bleiben. Es geht um Befindlichkeit. Medea hat ja bei Leonie Böhm vor allem Angst vor dem, was sie tun wird. Es ist ihr wenigstens bewusst, was sie tun wird, sie äußert es schon zu Beginn der Inszenierung. Sich dessen bewusst zu sein, ist schon das Thema für Leonie Böhm. Es geht um Medeas Einstellung. Darum, zu zeigen, dass Medea sich in ihrer Situation doch mit sich selbst beschäftigen kann (hätte können), nicht nur eine rasende unkontrollierte Furie war. „Du brauchst Mut, Deinen Platz zu finden“, sagt sie. Oder: „Das bin ich, das ist das Leben.“ Darum geht es Leonie Böhm wohl. Seinen Platz finden. Medea, die erkennt, in welcher Situation sie ist. Die Inszenierung endet so auch nicht im wahnsinnigen Kindermord, es geht eben nicht um das Gesamtgeschehen selbst.
Es wird auf der Bühne aber dennoch alles vielleicht nicht deutlich genug, ergänzende Erklärungen etwa in der guten Podcast-Einführung des Dramaturgen Bendix Fesefeldt (am Ende der Stückeseite zu Medea* HIER) und im Programmheft (ein Gespräch mit Leonie Böhm) bringen einem die Thematik im Grunde erst wirklich näher. Schade, die schöne Inszenierung erscheint daher nicht ganz ausgereift.
Copyright der Bilder: Gina Folly
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