Ich habe im Grunde noch selten – zu selten – an dieser Stelle über Werke von Andreas Maier geschrieben, obwohl ich doch seit vielen Jahren alles lese, was von ihm publiziert wird. Und das ist viel! Allein seine letzten Titel, Teile einer Reihe „Ortsumgehung“, die auf elf Bücher über Dinge seines Lebens angelegt ist.
Die Teile „Onkel J.“ (gehörte vielleicht noch nicht zu dieser Reihe), „Das Zimmer“, „Das Haus“, „Die Straße“, „Der Ort“, „Der Kreis“, „Die Familie“, „Die Universität“, „Die Städte“ erschienen bisher. Davor schon hatte er teilweise wunderbare Bücher veröffentlicht: „Wäldchestag“, „Klausen“, „Kirillow“, „Sanssouci“ etwa. Ich persönlich könnte sie alle empfehlen.
HIER der Link zur Autorenseite auf der Website des Suhrkamp Verlages.
Sein aktuelles Buch – kürzlich erschienen – „Die Städte“ werde ich wahrscheinlich noch besprechen. Zunächst möchte ich hier ein paar Worte über das Buch verlieren, das etwa ein Jahr zuvor erschienen war – ebenfalls als Teil der Reihe „Ortsumgehung“: „Die Universität“.
Es ist im Grunde ein schmales Bändchen. Andreas Maier schildert zehn verschiedene kleine Episoden aus seiner Studentenzeit. Natürlich studierte er in Hessen, Frankfurt am Main, Germanistik und Philosophie, später noch Altphilologie. Er lebte ja in der Wetterau, im Hessischen, der Gegend, um die es in der Reihe „Ortsumgehung“ immer wieder geht, seine Heimat. Schön finde ich ja bei alldem seine Sprache: Möglichst einfach, nicht gedrechselt, nicht aufgesetzt. Andreas Maier will dem Leser nichts aufzwingen. Ganz einfache Szenen werden meist locker mit möglichst einfachen und nicht übertrieben vielen Worten geschildert. Möglichst einfache Schilderungen, aber dennoch in schöner Sprache. Oder: Die Szenen werden nicht geschildert, sondern eher beobachtet. Das macht es dann interessant. Ein Arztbesuch, ein Seminarabend, eine Autofahrt, seine Freundinnen, andere Personen. Dinge, die wir alle erlebt haben.
Es geht in den Teilen der Reihe „Ortsmgehung“ nicht um eine bloße Schilderung solcher Situationen. Das könnte zäh, langweilig werden. Nein, es geht um einen speziellen Rückblick auf Kindheit, Jugend, auf Personen, Familie, Freunde, Freundinnen, Erlebnisse, Orte, sein Erwachsenwerden, ständig in dem Unterton, der einen als Leser immer in Distanz setzt zu dem, was man liest und zu dem, über den man liest. Aber man wird als Leser dabei vor allem immer wieder auf die Frage gestoßen: „
Vielleicht habe ich diese oder zumindest ähnliche Szenen damals auch so erlebt? Genau so!“
Er schreibt – besonders dieses Mal ist es mir aufgefallen – immer so, als wäre er damals überhaupt nicht richtig in der Welt gewesen. Es geht meistens um Dinge, die besser NICHT hätten passieren sollen oder besser künftig bitte NICHT passieren dürften, aus damaliger Sicht, Dinge, die er NICHT richtig erkannte, NICHT sehen konnte, die er NICHT versteht oder damals NICHT verstand, auch Träume kommen vor, Situationen, die es so eben in der Realität NICHT gab. Es geht immer wieder um Merkwürdigkeiten, Unklarheiten, Uneindeutiges. Dinge, die ihm einfach unverständlich waren, was er aber zum Teil, meint man, erst heute erkennt. All das bei ihm und bei anderen Personen oder bei den letztlich alltäglichen Ereignissen, von denen er erzählt. Nicht zu Unrecht steht am Buchrücken einer der entscheidenden Sätze dieses Bandes: „ICH, DAS IST DER MITTELTEIL DES WORTES NICHTS.“
Schon die erste Episode: Andreas möchte in den Semesterferien nach Italien fahren, fährt schon zum Bahnhof, doch er fährt letztlich NICHT. In der zweiten Episode geht es dann am deutlichsten um „Universität“, sein Studium. Er sitzt im gefüllten Seminarraum – Philosophie- und beobachtet die anderen Teilnehmer. Bis er merkt, dass auch er beobachtet wird. Auch hier: Er bemerkt, dass er NICHT nur Subjekt seiner Handlungen, seiner Beobachtungen ist, sondern auch Objekt anderer. Auch in der dritten Episode. Andreas muss zum Arzt wegen eines Ausschlags und wegen Magenproblemen. Der Arzt fragt ihn zuletzt: „Haben Sie einmal überlegt, NICHT in die Mensa zu gehen?“. Oder: Die Buchhändlerstochter, eine seiner ehemaligen Freundinnen. Er steht in der Buchhandlung, denkt an sie, aber: Er trifft sie natürlich NICHT! Will sie gerade NICHT treffen – oder doch? Oder das Cover: Ein kleiner Vogel. Ein Vogel blickt einen doch NICHT an, schaut einem eben NICHT in die Augen.
Eine Ausnahme bildet fast die neunte Episode. Eine Autofahrt. Sie wird ausnahmsweise sehr konkret so beschrieben, wie sie war. Hier gibt es kein NICHT. Hier kommen keine Merkwürdigkeiten zum Tragen, sondern Andreas Maier kann die stockende Autofahrt nach Frankfurt irgendwie mit unser aller Leben verbinden. Auch das nicht ausufernd, sondern mit einfachen Worten, treffend nachgedacht. Bei aller Einfachheit der Situationen in diesem Band – über die Universität mit dem Philosophiestudium! – ist es hier auch ein wenig gemischt mit philosophischen Überlegungen.
Und am Ende die kurze Schilderung der Szene, in der er die kalte Kirche betritt und dann im Dunkeln – natürlich NICHT deutlich zu erkennen – hinten im Kirchenschiff seine ehemalige Freundin, die Buchhändlerstochter, sieht. Stehen bleiben? Auf sie zugehen? Wieder ist es unklar.
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