Das fiebrig lodernde Geheimnis des Lebens und der Verwesung, darum geht es! Sebastian Hartmann inszenierte bereits vor zehn Jahren Thomas Manns „Der Zauberberg“, er war damals Intendant des Schauspiels Leipzig. Er hat sich nun am Deutschen Theater Berlin erneut an dieses monumentale Werk gemacht. Er wagt sich ja übrigens auch (auch am Deutschen Theater Berlin) an einen anderen Jahrhundertroman, den „Ulysses“ von James Joyce. Die Inszenierung von „Der Zauberberg “ ist zum Theatertreffen 2021 in Berlin eingeladen. In welcher Form auch immer das Theatertreffen in diesem Jahr stattfinden wird.
Es ist nicht einfach die Erzählung des Romans „Der Zauberberg“ auf der Bühne, Hartmann greift allein die Kerngedanken des Werkes auf. Umso erstaunlicher ist es, wie er diese abstrakte Gedankenwelt auf die Bühne bringt! Eine insoweit meines Erachtens absolut gelungene Inszenierung! Wie man so etwas schafft? Es geht um nicht weniger als um Themen wie die Zeit, der Mensch, der Körper, auch die Liebe und schließlich der Krieg. Wenn man sich diesen nicht gerade alltäglichen Gedanken länger hingeben will, hier ist eine wunderbare Gelegenheit!
All dies entspringt der Gedankenwelt von Hans Castorp, der nach einem heftigen Wintersturm, der ihn auf einer Wanderung erwischt, in den Schweizer Bergen in einen tiefen Traum fällt. Traumbilder durchziehen auch die Inszenierung. Etwa:

Hans Castorp wollte für drei Wochen nach Davos, um seinen Vetter Joachim zu besuchen, er blieb schließlich sieben Jahre lang dort im Sanatorium. „Ich bin der Welt abhandengekommen“, sagt er im Buch und auf der Bühne. Die Zeit steht still, für sieben Jahre lang steht sie still. Bis der zweite Weltkrieg beginnt, der „Donnerschlag“, der auch Hans Castorp an die Front holt.
Markwart Müller-Elmau spielt Hans Castorp wunderbar! Mit akustischen schweren Schneestapfern betritt er langsam und schwerfällig barfuß die weiße fast leere Bühne. Er bleibt während dieser Inszenierung die Person, die sich über alles wundert, tief versunken ist. Allein sein Gesichtsausdruck, sein Blick, erklärt die Stimmung des ganzen Romans! Ein großartiger Theatermoment ist die Szene, in der Marquart Müller-Elmau – hier im Rollstuhl sitzend – Linda Pöppel ratlos zuhört, wie sie schluchzend, immer verzweifelter werdend – vor dem Hintergrund des aufkommenden Kriegs – über die Dinge des Daseins klagt! Auch Markwart Müller-Elmau beginnt – dräuende Livemusik im Hintergrund- vom Wahnsinn des Krieges zu reden. Beide mit ihren weiß geschminkten Gesichtern. Schwarze Flocken rieseln auf die Bühne, die große, fast leere Bühne. Wirklich großartig von beiden, wirklich großartig!
Auch die Kostümierung ist zu erwähnen: Adriana Braga Peretzki steckte alle SchauspielerInnen in weiße Bodysuits, übergroß und zumeist pummelig. Verbogene, kränkliche Körper. Es ist dadurch keine der im Roman erscheinenden Personen erkennbar, es geht einfach um den Menschen. Siehe das Beitragsbild oben.
Zu sagen, Thema der Inszenierung ist die Frage „Was ist die Zeit“, greift allerdings meines Erachtens sogar zu kurz. Sicherlich ist diese Frage ein Kern der Inszenierung: Es fallen eben Äußerungen wie: „… das fiebrig lodernde Geheimnis des Lebens und der Verwesung“. Linda Pöppel bringt diese Äußerung in der genannten Szene mit Markwart Müller-Elmau. Darum geht es Thomas Mann! Dies ist eigentlich meines Erachtens eine der Kernbemerkungen dieses Romans, wollte man ihn beschreiben! Die Zeit, der Verfall, die Verwesung, die Veränderung. Nichts bleibt wie es ist. Und: „Was ist das Leben? Was ist der Körper? Was hat es damit auf sich? Das Sein und das Eigentlich-nicht-sein-Können. Wie verhält es sich?“ Was ist Vergangenheit, was sind Gefühle? Alles keine leichten Fragen, alles Fragen, die sich Thomas Mann (in seiner sicherlich elitären Lebensweise) stellte und die ihn zu diesem Roman brachten. Fragen, die sich Hans Castorp in seinem siebenjährigen Stillstand stellen. Fragen, die in dieser Inszenierung insgesamt wunderbar dargestellt werden! Natürlich gibt es keine Antworten!
Und hinzu kommt Thomas Manns Gedanke: Warum führen wir Krieg? Auch dieser Gedanke wird in der Inszenierung deutlich: Warum Krieg, warum nicht Liebe? Eine Frage, die Thomas Mann zu seiner Zeit natürlich – der Roman erschien 1924 – sehr aktuell beschäftigte. Marquart Müller-Elmau schildert gegen Ende der Inszenierung ratlos und verzweifelt Szenen von der Front. Junge Menschen sterben, werden durch Bomben zerrissen. Oder ist es gar er selbst, der zerrissen wird? Und hier fallen Äußerungen wie: „Worüber sind wir so ausgelassen lustig – weil es nun abwärts geht? Wer sind wir? Was ist das, Krieg? Ich kann mir auch andere Bilder erträumen: Mit der Geliebten am Strande lustwandelnd … Wird auch aus diesem Weltfest des Todes die Liebe steigen?“
Warum hat der Mensch Brutalität in sich? Die Brutalität des Daseins, die wohl im Menschen steckt, fiel wohl für Hans Castrop deswegen weg, weil für ihn sieben Jahre lang die Zeit still stand. Der Stillstand der Zeit als alleinige Rettung vom Wahnsinn. Dann ging sie weiter, die Zeit, mit dem Zweiten Weltkrieg.
Das Lifestreaming zeichnete sich übrigens noch dadurch aus, dass auf der Bühne mit sechs Kameras gearbeitet wurde. Es entstand eine besondere Streamingversion der Inszenierung, die man so auf der Bühne nicht sehen wird. Bildüberblendungen, Gänge hinter die Bühne, Nahaufnahmen, und und. Auch dies schien mir für diese Inszenierung bestens zu passen. Ich hatte schon Inszenierungen gesehen, in denen es etwas eigentümlich wirkte, auf der Bühne teilzunehmen. Hier erschien es mir hoch selbstverständlich und sehr gelungen, künstlerisch wohl sehr durchdacht.
HIER geht es zur Stückeseite auf der Website des Deutschen Theaters Berlin.
Copyright des Beitragsbildes: Arno Declar
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