Ismene! Wie verhält man sich eigentlich, wenn um einen herum das totale Desaster der Zerstörung stattfindet? Es ist ja wie im heutigen Leben und wie es schon immer war: Der Mensch ist einfach nicht fähig, das globale Desaster zu verhindern. Wir steuern darauf zu. Als hätte es der Mensch in den Genen, er kann nur zerstörerische Lösungen entwickeln.
In der Antike gab es ähnliche Konstellationen: Ismene! Mit einem Unterschied zu heute: Damals hat man solche „Desasterkonstellationen“ einzelnen Helden oder Göttern zugeschrieben, nicht gleich allen Menschen, nicht der ganzen Menschheit. Aber über das Götterdenken und Heldendenken sind wir nun einmal hinweg.
Aber auch damals war bei alledem die Frage angebracht: Wie verhält man sich eigentlich, wenn um einen herum das totale Desaster der Zerstörung stattfindet?
Dazu das Stück „Schwester von“, das ich jetzt im Metropoltheater in München/Freimann gesehen habe. Ismene! Wie hat Ismene alles erlebt? Um sie herum fand dass totale Desaster statt:
- Erste Stufe: Ismenes Vater, Ödipus, brachte unwissend seinen eigenen Vater um und heiratete seine eigene Mutter, Iokaste.
- Nächste Stufe: Ödipus sticht sich daraufhin die Augen aus und Iokaste erhängt sich, als es Ödipus offenbart wurde.
- Nächste Stufe: Die beiden Brüder von Ismene, Eteokles und Polyneikes, die Söhne des Ödipus, kämpfen um die Nachfolge der Herrschaft über Theben. Sie sterben beide.
- Weitere Stufe: Ismenes Schwester, Antigone, erhängt sich, weil sie ihren Bruder Polyneikes beerdigt hat und dafür bestraft wird.
- Und und und.
Das alles erzählt Ismene im Stück „Schwester von“ von Lot Vekemans. Lot Vekemans beschäftgt sich gerne mit einer einzigen antiken Figur. So läuft seit Jahren an den Münchner Kammerspielen eine Inszenierung ihres Textes „Judas“, inszeniert von Johan Simons. HIER der Link zur Stückeseite. Es läuft Mitte Januar 2020 wieder an den Kammerspielen.
Was macht Ismene? Sie wundert sich, freut sich, Beachtung zu finden und blickt zurück auf das, was geschah. Ismene trat immerhin tausende von Jahren im Grunde nicht in Erscheinung, hat aber alles mit angesehen.
Es ist eine Inszenierung von Domagoj Maslov. Gespielt wird nicht auf der Bühne des Monopoltheaters, sondern Ismenes Monolog wird in einem Eck des Cafés des Theaters gebracht. Ein Monolog. Meine Eindrücke dazu:
- Ismenes Verhalten: Ismene erzählt in dieser Inszenierung alles so, als würde sie selber am Rande des Wahnsinns stehen. Jetzt, im Blick zurück. So wird sie von Sophie Rogall gespielt. Sicher eine Entscheidung der Regie. Gut: Ismene zeichnete sich trotzdem dadurch aus, dass sie immer gegenüber allen Übeln oder Morden oder gegenüber dem eigenen Tod als Lösung standhaft blieb. Auch Rache war nicht ihr Ding, hat sie immer abgelehnt. Sie stand auf Versöhnung. Insoweit schien mir Ismene etwas zu wahnsinnig in dieser Inszenierung. Etwas zu durchgängig wahnsinnig war mir Ismene. Ismene erzählte in dieser Inszenierung nichts zart oder sanft oder einfühlsam, nicht zweifelnd, sondern eben eher fast wahnsinnig. Aber gut, bei dem Desaster um sie herum!
- Die Nähe: Man war Sophie Rogall als Ismene sehr nahe, wenige Meter von einem entfernt spielte sie – im Jugendstilambiente des Cafés des Metropoltheaters. Das ist besonders und verstärkt die Eindrücke. Und wird auch für Sophie Rogall nicht einfach gewesen sein. Aber genau das war ein schönes Erlebnis! Und man sah nicht Sophie Rogall, man sah Ismene, das machte Spaß und ist sicher etwas, was das Metropoltheater auszeichnet. Die Nähe, auch auf der großen Bühne wohl.
- „Mensch und Tier„: Am Anfang und am Ende spricht Ismene von Hunden. Ist das – so war mein Eindruck – ein Gedanke des Stückes von Lot Vekemans? Hunde – Tiere insgesamt – haben nicht die menschliche Gefühlswelt. Essen, schlafen und satt sein, das genügt den Tieren. Aber genau das gilt für den Menschen eben nicht. Deswegen zerstört der Mensch alles, weil er immer nach etwas strebt, immer, und dieses Streben immer ins Desaster führt.
HIER der link zur Stückeseite auf der Website des Metropoltheaters.
Copyright des Beitragsbildes: Metropoltheater
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