Gerhart Hauptmanns „Vor Sonnenaufgang“ in der Fassung von Ewald Palmetshofer wird derzeit nicht nur am Münchner Residenztheater gebracht. Es wird auch am Theater Bonn (HIER ein Video) gebracht und ist – noch – am Theater Rudolstadt zu sehen (HIER auch ein Video). Zuletzt wurde es außerdem am Theater Regensburg gezeigt (HIER noch ein Video) und am Schauspiel Frankfurt (auch HIER ein Video). Und HIER das Video des Münchner Residenztheaters.
Die jeweiligen Inszenierungen dieser Fassung sind natürlich – siehe die Videos – sehr unterschiedlich! Die aktuelle Fassung am Münchner Residenztheater – eine Übernahme vom Theater Basel – ist von der jetzigen Hausregisseurin am Münchner Residenztheater, Nora Schlocker, inszeniert.
Nora Schlocker lässt auf der Bühne gerne Schlichtheit walten. So geht sie auch an ihre Inszenierung von „Vor Sonnenaufgang“ am Residenztheater heran. Und so hat sie kürzlich „Die Verlorenen“ inszeniert, derzeit auch am Münchner Residenztheater zu sehen. Auch das ein Stück von Ewald Palmetshofer. Mein Beitrag dazu ist HIER. Sie gibt damit Platz für Inhalt, Text und Schauspieler.
Alles spielt sich schlicht vor einer kahlen Wand (in schönen Farben, vor allem zu Beginn!) ab, ein – zwei Türen (das sind die Szenen IM Haus), und ab und an vor einer zusätzlich davor herabgelassenen Wand mit Vorhang und Zugang ins Haus (das sind die Szenen VOR dem Haus).
Ewald Palmetshofer und Nora Schlocker kommt es sehr auf den Text an. Palmetshofers Textfassungen haben sprachliche Besonderheiten. Die Texte zeichnen sich dadurch aus, dass es selten Sätze sind, oft nur Bemerkungen, Wörter, Sätze werden nicht zu Ende gesprochen, Worte werden gesagt. Von „Wortmusikalität“ habe ich gelesen. Von 2012 bis 2015 unterrichtete er am Institut für Sprachkunst der Universität für angewandte Kunst Wien. Das ist interessant, statt umständlichen Formulierungen folgt man schnellen Worten, Assoziationen in seinen Texten. Man merkt oft nicht, dass es keine abgeschlossenen Sätze sind, man hat schon verstanden., Andeutungen genügen.
So auch in der Fassung von „Vor Sonnenaufgang“ am Münchner Residenztheater. In der Tat wird dem Text durch die Inszenierung viel Raum gegeben. Gerade dem Text. An den Stellen, an denen fast monologartig gesprochen wird, wird es deutlich. Thiemo Sturzenberger etwa als der Arzt Dr. Peter Schimmelpfennig (er besucht die hochschwangere Martha) bekam nach seinem Monolog Szenenapplaus.
Auch das Schauspielerische hat viel Platz, der Zuschauer wird nicht abgelenkt. Die Schauspieler hätten vielleicht sogar noch mehr aus sich heraus gehen können, das mag ich. Vor allem die beiden zentralen Figuren, gespielt von Michael Waechter und Simon Zagermann, spielen fast betont zurückhaltend. Aber gut, der Text!
Worum es in Gerhart Hauptmanns „Vor Sonnenaufgang“ geht:
Ein Tag, eine Nacht. Der Journalist Alfred Loth (Simon Zagermann) kommt überraschend aufs Land zu seinem wohlhabend verheirateten ehemaligen alten Freund Thomas Hoffmann (Michael Wächter). Alfred Loth will – sagt er irgendwann – feststellen, warum „wir alle immer weiter auseinander driften“. Er greift Thomas Hoffmann aber auch an. Loth der Idealist, Hoffmann der Materialist – der sich plötzlich politisch engagiert. Loth sieht es so, dass Hoffmann die Fleißstory erzählt. Der übersieht, dass andere ihm alles ermöglicht haben. Hoffmann sagt, er muss es so erzählen, damit es die anderen verstehen. Es geht um eine gewisse Verlogenheit Hoffmann´s. Der Konflikt zwischen Hoffmann und Loth bahnt sich etwas langatmig an, hätte im Text noch mehr Platz bekommen können.
Drum herum erlebt man weiteres Geschehen, das ich hier nicht ausufernd schildere. Es „füllt“ das Stück eher. Die schwangere Martha, Thomas Hoffmanns Frau; die alleinstehende Helene, Marthas Schwester; kurze erotische Übergriffe und Zuneigungen; Egon, der trinkende Vater der beiden Frauen; Annemarie, die resolute zweite Frau des Vaters; Dr. Schimmelpfewnnig, der Arzt für Helene. Palmetshofers Text gibt – auf diese Personen gestützt – immer wieder interessante Ansätze her, andeutungsweise. Im Zentrum der große Konflikt Hoffmann – Loth, siehe das Beitragsbild. Gerade dieser große Konflikt hätte im Text – finde ich – durchaus noch mehr Raum verdient. Es zieht ja in unseren Zeiten ohnehin so Vieles so schnell an uns vorbei.
HIER der Link zur Stückeseite auf der Website des Residenztheaters.
Copyright des Beitragsbildes: Sandra Then
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