Neue Gedanken. Etwa diese Aussage von Sigmund Freud – für mich war sie neu: Er hatte einmal in seinem Text „Eine Schwierigkeit der Psychoanalyse“ geschrieben, es gebe für die Menschheit „drei Kränkungen“:
Kränkung 1: Die Erde kreist um die Sonne, nicht die Sonne um die Erde!
Kränkung 2: Die Menschheit stammt vom Affen ab!
Kränkung 3: Der Mensch hat ein Unbewusstes – Freuds Thema – das er nicht steuern kann!
Ich würde den Abend eine „Perspektive“ – oder meinetwegen Performance – nennen. Er kreist nämlich ganz konkret um eine weitere Frage – ausgehend von diesen drei Kränkungen, die das Menschheitsbild schwächen: Von welcher „Menschheit“ ging Freud denn dabei aus? Kann man überhaupt von einer „Menschheit“ ausgehen?
Ich mag Abende, in denen nicht viel, sondern eher wenig auf den Punkt gebracht wird. Ich mochte daher etwa den Abend „Die Kränkungen der Menschheit“ lieber als zwei Tage später das Stück „König Lear“. Dazu aber gesondert einmal mehr.
Anta Helena Recke ist mittlerweile ein bekannter Name an den Kammerspielen. Sie hatte 2017 das Stück „Mittelreich“ in einer Version gebracht, in der die Personen dieser bayerischen Familiensaga von dunkelhäutigen Schauspielern gespielt wurden. Appropriation Art. Die Inszenierung wurde damals nach Berlin zum Theatertreffen eingeladen.
Zurück zum Stück: Die „Menschheit“ muss also nach Freud – könnte man sagen – Wohl oder Übel erkennen, dass sie – ätsch – nicht so toll ist, wie sie vielleicht meint. Sie meint es und fühlt sich „gekränkt“ von diesen naturgegebenen drei „Einschränkungen“. Nach dem Motto: „Das musste aber wirklich nicht sein!“
Das Thema „dunkelhäutig“ – „weißhäutig“ (sagt man so?) spielt bei Anta Helena Recke jetzt auch wieder eine Rolle. Da setzt sie mit dem „Stück“ „Die Kränkungen der Menschheit“ an. An den Münchner Kammerspielen war es die erste Premiere der gerade begonnenen Spielzeit 2019/2020, der letzten Spielzeit in der Intendanz Matthias Lilienthal.
Anta Helena Recke sagt uns zur Frage der „Menschheit“ in diesem Zusammenhang: Es gibt eine „vierte Kränkung der Menschheit“. Diese vierte Kränkung der Menschheit sei die „Illusion einer weißen männlichen Menschheit im weißen Körper“. Es gebe diese „Menschheit“ so aber nicht – nochmal ätsch. Das sei eine Illusion. Und dass dieser Gedanke nur eine Illusion sei, sei eine Kränkung.
Was macht Anta Helena Recke mit dieser Überlegung? Leere Bühne, ein begehbarer, innen beleuchteter Quader steht rum, einsehbar von allen Seiten, ein Holzsockel darin. Sonst nichts.
Dann zunächst Affen: Sieben Schauspieler kommen auf die Bühne und verhalten sich – hoch überzeugend! – als Affen. Nehmen den Raum ein, tummeln sich später auch zwischen den anderen Mitwirkenden.
Dann kommt die Trennung, die eigentlich zum Thema des Abends wird: Zunächst erscheint eine Besuchergruppe in einem fiktiven Museum: Sie betrachtet und spricht über nicht vorhandene Gemälde. Alle sind europäischer Herkunft, „weißhäutig“. Sie ergötzen sich in schlauen Kommentaren und Unterhaltungen zur ausgestellten Kunst, die sie betrachten. Sie meinen natürlich, die Kultur ist doch für sie geschaffen. Ich dachte mir: Naja, auch das ist irgendwie affenartig.
Dann – in einem „dritten Teil“ – kommen aber viele bunt und fröhlich in Gruppen durch den Raum gehende „dunkelhäutige“ Menschen – nur Frauen übrigens. Alle jung, jede für sich das Gegenteil des „alten weißen Mannes“. An der Kunst haben sie kein besonderes Interesse, reden und lachen miteinander, schauen immer nur kurz zum Quader, in dem die Besuchergruppe stand.
Man merkt also vielleicht: Mensch, so wichtig müssen sich die Personen in der Besuchergruppe in diesem Museum nicht nehmen, es gibt auch andere. Und auch die Kunstwerke müssen sie nicht so wichtig nehmen. Der ganze Quader ist nicht wichtig. Andere – die Vorbeigehenden – nehmen es auch nicht wichtig. Und das sind viele auf der Bühne.
Aber ich denke da wahrscheinlich zu kurz, wenn ich es auf diesen Gedanken reduziere, man müsse sich nicht so ernst nehmen. Überall gibt es ja Kultur und jeder nimmt eben seine Kultur ernst und wichtig. Hat ja seine Berechtigung. Nicht nur „weißhäutige“ Menschen nehmen die ihnen nahestehende Kultur ernst. Insoweit habe ich das „Stück“ wahrscheinlich nicht ganz verstanden. Aber ich mochte es lieber als „König Lear“, weil es nicht überladen war.
Copyright des Beitragsbildes: Gabriela Naab
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