Es gibt wenige große Theaterzeitschrift. Eine davon: „Theater der Zeit“. Über eine andere hatte ich bereits berichtet (HIER der Link zum Beitrag). Aktuell: Der Verlag von „Theater der Zeit“ bringt seit Jahren neben den zehn Monatsausgaben jeweils als Doppelausgabe 7 und 8 ein „Arbeitsbuch“ zu einer Persönlichkeit oder einem Thema der Theaterwelt heraus. Das Arbeitsbuch Nr. 28 erschien nun kürzlich zum flämischen Regisseur Luk Perceval.
HIER der Link zur Website von „Theater der Zeit“. HIER der Link zum Arbeitsbuch über Luk Perceval mit der Möglichkeit, reinzublättern und zu bestellen.
Thematisiert werden im (etwa 180-seitigen) Arbeitsbuch neben einigen Inszenierungen von Luk Perceval seine Sicht auf den derzeitigen „Zustand“ des Theaters vor allem in Deutschland – er arbeitete die letzten Jahrzehnte hauptsächlich in Deutschland – und seine interessanten Vorhaben in der näheren Zukunft – er wechselt nach Belgien. In deutscher Version und wortgleich in englischer Übersetzung – das macht (neben einiger Werbung deutscher Theater) leider auch den Umfang des Arbeitsbuches aus – liest man etwa ein Gespräch mit Luk Perceval, dann ein Gespräch mit dem Schriftsteller und Dramatiker Jon Fosse, außerdem ein gemeinsames Interview mit Luc Perceval zum Einen und – aus gegebenem Anlass – Milo Rau zum Anderen sowie Gespräche und Texte einiger seiner langjährigen Mitstreiter (die Bühnenbildnerin Annette Kurz, der Schauspieler Thomas Thieme, die Dramaturgin Marion Tiedtke, der Musiker Jens Thomas, der künstlerische Leiter Steven Heene, jetzt auch am NTGent, und weitere). Angereichert ist all das durch großformatige Bilder von einigen Inszenierungen von Luk Perceval.
Hier etwa eine Fotoaufnahme der Probe zu „Macbeth“ in Sankt Petersburg aus dem Jahre 2014 (auch zu seinen russischen Gastspielen sind zwei Texte zu lesen):

2018 war Luk Perceval übrigens mit einer wohl sehr persönlichen Interpretation von „Romeo und Julia“ von William Shakespeare wiederum in Russland. Auch dazu einen Artikel.
Das Beitragsbild oben wiederum zeigt die Bühne der Inszenierung von „Frost“ am Thalia Theater in Hamburg, auch von 2014.
Luk Perceval ist fländrischer Herkunft. Er ging, wie gesagt, nun vor Kurzem einen interessanten Schritt: Er verließ Deutschland und wechselte an das NTGent in Belgien, dessen Intendant bekanntlich Milo Rau ist. Ein spannender Ort. HIER der Link zur Website des NTGent. Er ist dort für drei Jahre Artist in Residence. Auf der Suche nach den Möglichkeiten eines internationalen Theaters für das 21. Jahrhundert.
Am NTGent bringt Luk Perceval eine Trilogie über Belgiens Geschichte heraus. Jedes Jahr wird ein Teil der Trilogie gezeigt werden. Die Trilogie heißt insgesamt „The Sorrows of Belgium“. Der erste Teil dieser Trilogie, die sich mit der unaufgearbeiteten Vergangenheit Belgiens (etwa Kongo) auseinandersetzt, hat den Titel „Black“. Dieser erste Teil läuft bereits seit März – bis Anfang kommenden Jahres. Die folgenden Teile werden – den Nationalfarben Belgiens entsprechend – die Titel „Yellow“ und „Red“ haben.
HIER der Link zur Seite des Stückes „Black“ auf der Website des NTGent. HIER ein Video mit kurzen Ausschnitten aus „Black“. Und HIER noch eines dazu.
Luk Perceval und Milo Rau sprechen im gemeinsamen Interview im Arbeitsbuch über Fragen eines modernen internationalen Theaters, die ja besonders Milo Rau am NTGent in den Vordergrund stellt und praktiziert. Das und die Entwicklung des deutschen Stadttheaters sowie die Arbeit des heutigen Schauspielers und der Schauspielerin sind ganz offenbar die Themen, die Luc Perceval umtreiben. Er beklagt die harten riesigen und zementierten Strukturen des deutschen Stadttheaters und die daneben teilweise wackeligen, vor allem oft schlechten finanziellen Bedingungen der SchauspielerInnen.
Außerdem wäre in seiner Idealsicht
„… auch die Öffentlichkeitsarbeit auf der Probe dabei und würde mit Beteiligten Gespräche führen, Filmen, Podcasts machen und so weiter. Damit das Theater sich viel mehr öffnet. Damit ein Diskurs entsteht, eine Auseinandersetzung, ein Raum, mit dem man sich emotional und intellektuell identifizieren kann; damit man die Leute, die Stadt einlädt, mitzudenken und sich auch mit uns auseinander zu setzen.
Und so weiter. Ein Wermutstropfen beim Lesen (wie leider oft, wenn es um Kritiken zur Aufführungen geht): Um das Arbeitsbuch umfassend genießen zu können, sollte man möglichst viele der angesprochenen Inszenierungen von Luc Perceval gesehen haben. Inszenierungen, die ihn, wie gesagt, auch mehrfach nach Russland führten (wobei man diese Inszenierungen wahrscheinlich kaum gesehen haben wird). Viele der von den Mitstreitern geschilderten Eindrücke beziehen sich detailreich auf diese Inszenierungen. Schade, von diesen Eindrücken zu lesen, wenn man sie nicht nachvollziehen kann. Das nimmt etwas Freude am Gelesenen, doch auch das ist immer wieder gemischt mit Darstellungen der handelnden Personen, die einen guten Gesamteindruck schaffen, soweit das möglich ist. Aber wann hat man schon einen „Gesamteindruck“?
©️ des Beitragsbildes oben: Auch Annette Kurz
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