Niederbayern. Das flache, weite Land – das einfache Leben – Bauernfamilien – kein Schickimicki – die Kirche – jeder kennt jeden – nichts verändert sich … Ein Klischee in den Augen eines Städters? Nun, ich denke, früher war es noch deutlicher so, wahrscheinlich aber ist es immer noch so. Sicher ist es auch in anderen Gegenden Deutschlands so. Und wie kommt man da raus, wenn man da rauskommen will? Heutzutage wird es einfacher sein, dort rauszukommen. Man ist mobil in seinem Leben.
Man kommt heute generell viel schneller aus seinem ganzen Leben heraus! Aus seinem ganzen Leben. Andererseits klebt man eben doch immer an irgendetwas fest. Etwa symbolisch – wie Susn – an Niederbayern und damit doch an einem der Ursprünge der ganzen Entwicklung ihres Lebens.
Darum geht es ja. Herbert Achternbusch hat das Theaterstück „Susn“ schon 1980 geschrieben, vor fast vierzig Jahren! Das Stück wird jetzt schon seit mehreren Jahren in unregelmäßigen Abständen an den Münchner Kammerspielen in einer Inszenierung von Thomas Ostermeier gezeigt.
Herbert Achternbusch war damals 42 Jahre alt. 1980, das war natürlich noch eine andere Zeit. Es geht um das niederbayerische Mädchen „Susn“, Susanne. Es geht also eigentlich darum, wie Susn aus ihrem Leben (nicht) heraus kommt, nicht etwa nur darum, wie sie „örtlich“ aus Niederbayern herauskommt. Sie strengt sich an – will aus der Kirche austreten – studiert (vielleicht in München) – stellt in Studienzeiten alles mögliche infrage – verzweifelt dann mehr und mehr an ihrem faden Eheleben angesichts ihres Ehemannes, der sich nicht um sie schert – und stirbt schließlich. Sie bleibt immer die Niederbayerin, die rückblickend mit ihrem Leben nicht unbedingt glücklich sein konnte. Und am Anfang und am Ende spielen die Kirche und der Glaube eine gewisse Rolle. Immer wieder die Kirche. Auch das hat sich vielleicht bis heute etwas verändert. Am Anfang in der Beichte, wo sie dem Pfarrer wirre Jugenderfahrungen erzählt, und am Ende, wenn sie sagt, ihr höre eigentlich nur der Herrgott zu, wer denn sonst? Andererseits nimmt sie die Kirche am Ende irgendwie nicht mehr so ernst, so klingt es jedenfalls.
Es ist ein grandioser Abend für Brigitte Hobmeier und Edmund Telgenkemper mit fast so etwas wie Kultstatus. Nicht inhaltlich, aber irgendwie bezüglich der ganzen Darbietung. Edmund Telgenkemper verfolgt zwar fast durchgehend wortlos (als Pfarrer und später als der Lebensgefährte von Susn), wie Brigitte Hobmeier mehr oder weniger Monologe hält. Aber es sind beide, die die Stimmung des Abends erzeugen. Neben der großflächigen, meterbreiten schwarz-weißen, stummen Videoaufnahme an der Rückseite der Bühne, wo man ganz langsame Sequenzen aus Niederbayern betrachten kann – eine Straße, ein Bauernhof. Und neben dem leichten Leberkäsgeruch im Theater – da Brigitte Hobmeier vor Beginn des Stückes warmen Leberkäs an das Publikum verteilt. Und neben dem einfachen Setting insgesamt. Susn trägt – wie in Achternbuschs Text – weiße Kniestrümpfe und einen weißen kurzen Rock, auch das schon.
Und beide, Brigitte Hobmeier und Edmund Telgenkemper, legen im Grunde immer wieder ihre Hilflosigkeit an den Tag. Brigitte Hobmeier zeigt als Susn diese Hilflosigkeit vor ihrem gesamten Leben. Edmund Telgenkemper zeigt sie irgendwie als zuhörender Pfarrer, der die Beichte der jungen Susn entgegennimmt, und später als der Ehemann von Susn, der hilflos nur noch seine eigene Schreiberei kennt.
Grandios ist, wie Brigitte Hobmeier Susn spielt. Sie spielt Susn schließlich in vier extrem unterschiedlichen Lebensabschnitten. Als 17-Jährige, als Studentin, als Ehefrau, als alte Frau. Es ist erstaunlich, wie gut sich Brigitte Hobmeier in diese vier verschiedenen Altersphasen hineinversetzt. Das ist der Genuss, den man aus diesem Abend ziehen kann. Besonders vielleicht auch deswegen, weil das Stück an der kleinste der drei Bühnen der Münchner Kammerspiele, der Kammer 3, gebracht wird. Man ist dem Stück damit einfach viel näher. Und weil die Bühne so kahl ist. Ein Tisch für Edmund Telgenkemper und ein Schminktisch für Brigitte Hobmeier. Das war’s dann fast. Es hat fast Werkstattcharakter.
Ansonsten merkt man: Diese Verwurzelung mit Niederbayern ist besonders, und sie war in den achtziger Jahren vielleicht noch deutlicher, als heute. Wahrscheinlich auch für Herbert Achternbusch. Und im Grunde zeigt sich darüber hinaus: Die Verwurzelung mit dem eigenen Leben ist eben immer immens. Niederbayern und das Leben. Aber es muss ja Gottseidank nicht immer so trist enden, wie an diesem Abend.
©️ des Beitragsbildes: Arno Declair, Münchner Kammerspiele
Vielen Dank dem Theater Verlag/Suhrkamp für den Text des Theaterstücks „Susn“ von Herbert Achternbusch!
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