Doktor Alici von Olga Bach an den Münchner Kammerspielen. Eine Inszenierung von Ersan Mondtag, der aber – nicht zum ersten Mal – sicherlich in enger Abstimmung mit Olga Bach daran gearbeitet hat. Wer die Neigung hat, etwas politisch um ein paar Jahre Weitergedachtes sehen zu wollen – ausgehend von den heutigen Verhältnissen nicht nur in Bayern – kann sich dieses insoweit „realistische“ Stück gut ansehen. Auch wenn irgendetwas fehlte (siehe unten). Es soll das Jahr 2023 sein, also gar nicht soweit weg.
Kritisches Volkstheater könnte man auch sagen. Und dann: Man stellt sich dann die Frage, ob das, was wir derzeit in der Realität erleben (darauf baut das Stück ja auf), hier mit allzu viel Fantasie weitergedacht wurde oder ob nicht das, was im Stück fantasievoll gezeigt wird, nicht doch schon irgendwie im Heute fast festgezurrt ist. Aber das haben ja schleichende Veränderungen so an sich. Schleichende Veränderungen, die man hinnimmt und die dann irgendwann aufbrechen. Darauf zielt ja der Abend. Das ist ja der Unterschied: Bei vielen Theaterstücken kann man sich danach überlegen: Spielt das in unserem Leben eine Rolle? An diesem Abend dagegen war es anders: Der Abend ging ganz klar davon aus, dass die Thematik in unserem Leben – jedenfalls hier in Bayern – eine Rolle spielt. Sonst hätte der Abend keinen Sinn gemacht. Und gerade die Bayern nehmen ja gerne die Dinge so hin, wie sie sind. „Mia san mia!“.
Thema war das PAG, das Bayerische Gemüt, die Einstellung zu Muslimen. Und zwar war die tatsächliche Situation von Olga Bach andersherum weitergedacht: Die CSU hat ja bekanntermaßen in Bayern das PAG installiert. Die Polizeipräsidentin, die im Stück von den sogenannten „Ökologen“ eingesetzt wurde, hat das PAG dann eben vor der Landtagswahl ganz gesetzestreu gegen eine angeblich rechte Gruppierung eingesetzt. Soweit, so gut. Der CSUler in der Inszenierung, ein Sicherheitspolitiker, und andere eher „rechte“ Vertreter wollen es ihr zwar ausreden, sie bleibt aber hart. Das wiederum treibt den Unmut der CSU hoch und höher. Die CSU hat doch das PAG wegen drohender muslimischer Gefahren installiert! Und so weiter…
Nach dem Theaterabend sagte mir jemand sinngemäß: Naja, im Publikum der Münchner Kammerspiele sitzen ja schon eher die kritischen und aufgeschlossenen Geister. Das Stück war aber eher an Menschen gerichtet, die die Entwicklung nicht so kritisch sehen! Nicht erkennen! Ja, das Stück hätte im Residenztheater etwa sicherlich einen anderen Resonanzboden vorgefunden.
Zum Stück und der Inszenierung und zu meinen Eindrücken Folgendes:
Zum Stück: Olga Bachs „Doktor Alici“ ist entfernt angelehnt an „Professor Bernhardi“ von Arthur Schnitzler. Auch dort sind es schleichende Veränderungen: Dort kommt ein jüdischer Arzt mehr und mehr in Schwierigkeiten, nachdem er aus persönlicher und professioneller Sicht eine medizinische Entscheidungen getroffen hatte, die die Gemüter der Nazis störte und zunehmend Judenhass gegen ihn aufkommen ließ.
Zur Inszenierung: Gut gespielt wird Dr. Alici allemal wieder. Das Ensemble der Münchner Kammerspiele kann immer durch die Bank überzeugen. Das Bühnenbild und die Kostümierung (Bühne von Nina Peller und Kostümierung von Teresa Vergho) lassen einen allerdings staunen. Es wirkt alles wie in einem verrückten Traum. Zur Kostümierung siehe allein oben das Bild. Also wirkt doch alles recht entrückt, nicht realistisch? Obwohl das Thema so realistisch ist! Das obige Beitragsbild gefällt mir übrigens schon deswegen, da es schön die Situation des Stückes zeigt: Der seit Jahrzehnten bekannte klassische Bühnenvorhang und davor die abstrus wirkende Gruppe der Schauspieler.
Auch der fast permanent auf die Bühne niederprasselnde Regen und die immer wieder zu hörenden Donner und die aufflackernden Blitze verursachen eine träumerische, aber auch desolate Atmosphäre. „Scheißregen“ sagen einzelne SchauspielerInnen mehrfach. Die SchauspielerInnen laufen meist mit aufgespannten Schirmen herum.
Das Ensemble ist diesmal übrigens ergänzt durch Hürdem Riethmüller (Münchnerin mit türkischen Eltern), die die zentrale Rolle einer lesbischen und muslimischen bayerischen Polizeipräsidentin (!) spielt, und durch den rührend gut spielenden Michael Gempart.
Mein Eindruck: Mir wurde das Thema etwas zu direkt angegangen. Fast schulmäßig, wie in einem Aufsatz. Aber auch das kann ruhig einmal im Theater stattfinden! Besser vielleicht als zum zehnten Mal William Shakespeare sehen und sich dann wieder denken: „Ois is wias is!“.
Wie mit dem Holzhammer wurde aber quasi auf die Zuschauer eingeschlagen. Schöne Momente waren aber zu finden: Allein die Talkshow mit den Protagonisten und die Aussagen der Beteiligten! Siehe das Beitragsbild oben.
Insgesamt etwas kompliziert gedacht. Das ist leider das Gefühl, das an diesem Abend auch etwas hängen blieb. Es wirkte etwas kompliziert und damit nicht so ganz einschlagend. Vielleicht fehlte es, dass man sich speziell an einer der beteiligten Personen, besonders an der Polizeipräsidentin, emotional mehr hätte orientieren können. Das würde auch Arthur Schnitzler und seiner recht psychologischen Herangehensweise entsprechen. Irgendetwas fehlte vielleicht. Eine Abrundung oder Zuspitzung, an der man sich orientieren würde. Aber das ist natürlich leichter gesagt, als getan. Letztlich bleibt die Polizeipräsidentin jedenfalls „im Regen stehen“ – oder liegen, allein auf der klatschnassen Bühne.
©️ des Beitragsbildes: Armin Smailovic, Münchner Kammerspiele
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