Es ist ein Stück mit drei Ebenen. Zwei Personen – drei Ebenen. Die beiden Personen haben jeweils eine eigene Story vor Augen, über die sie reden werden. Und es gibt die Ebene des gemeinsamen, aktuellen Geschehens. Aber da spielt sich nicht viel ab.
Sie kommen mit Koffern aus dem Urlaub zurück in ihre äußerst funktional eingerichtete gemeinsame Wohnung. Die Zuschauer stehen (!) nebeneinander um die geschlossene Bühne herum und betrachten das Geschehen auf der Bühne – die Wohnung des Paares – voyeuristisch durch schmale Sichtfenster.
„Mann“ und „Frau“ reden nicht miteinander, sondern führen Monologe. Jeder hat seine Überlegung. Er ist „beruflich“ irgendwo Scharfschütze und monologisiert über eine Frau, die ihm einmal – wahrscheinlich vor dem Urlaub – gefallen hat. Er beobachtete sie in einer Gruppe Protestierender. Und er stand davor, auf sie zu schießen. Allerdings, um sie berühmt zu machen und letztlich damit das System, gegen das sie offenbar ankämpfte, sogar zum Einsturz zu bringen, indem die Gruppe der Protestierenden dadurch nur gewinnt.
Sie dagegen monologisiert in der Wohnung darüber, dass auf der Welt alles gleichzeitig stattfindet, womit sie offenbar kaum zurecht kommt. Sie kam einmal – wahrscheinlich auch vor dem Urlaub – in ihr Büro und spürte besonders, dass alles gleichzeitig passiert. Oder lag sie nach einem Schlaganfall in der U-Bahn Station? Es kommt jetzt oder kam ihr damals jedenfalls so vor.
Ein Stück über die Tatsache, dass wir im Grunde nichts verstehen. Die Welt als ein Fehler. So kann es doch nicht gewollt gewesen sein. Die Menschheit wächst – durch die Globalisierung – immer mehr zusammen, aber sie wird immer träger und hilfloser im Umgang miteinander. Und alles erschüttert uns. Er sah also hilflos eine Frau, die gegen das System ankämpfte. Er musste auf sie schießen. Sie dagegen sah hilflos irgendwie diese Gleichzeitigkeit von Allem. Mann und Frau wirken nicht gerade begeistert von ihren Überlegungen – ihren „Rückblenden“ – nach der Rückkehr aus dem Urlaub. Die Überlegungen verwirren beide mehr und mehr, ihre Handlungen – Wein einschenken, duschen, kochen etc. – geraten zunehmend aus den Fugen.
Ihre gemeinsame Welt? Man könnte sagen: Es geht insoweit darum, dass sich zwei Menschen, obwohl sie zusammen leben (verheiratet sind?), überhaupt nicht austauschen, nicht austauschen können. Kommunikation gleich null. Jeder lebt in seiner Welt und ist letztlich schwer verwirrt. Die „Frau“ scheint nicht daran interessiert zu sein, wie es dem „Mann“ geht und umgekehrt. Er und sie tauschen während der eineinhalbstündigen Vorführung vielleicht zweimal relativ freundliche Blicke miteinander. Zwei oder drei Mal berührt er sie. Ansonsten blicken Sie sich verständnislos an. Erstaunlicherweise umarmen sich beide ganz am Ende … wer weiß warum.
Die Zuschauer sehen also hautnah zu. Ziemlich traurig und desolat, was man so sieht. Man beobachtet es so, als würde man einem Blick in den Alltag werfen. Man beobachtet, wie das geordnete Leben eines Paares mehr und mehr aus den Fugen gerät. Es gerät dadurch aus aus den Fugen, dass jeder seine eigene, nicht beherrschbare „Außenwelt“ hilflos vor sich hat. Er als Scharfschütze, sie als Designerin.
Eine traurige, aber interessante Beobachtung des britischen Autors Chris Thorpe über die heutige Welt. Regie der Münchner Inszenierung führte Sam Brown. Die beiden relativ jungen Schauspieler des Ensembles des Residenztheaters Nora Buzalka und Till Firit passen wunderbar, spielen es wirklich überzeugend, sehr glaubwürdig – was man ja besonders gut beurteilen kann, da man sie wirklich hautnah erlebt.
Es bleibt in der Umsetzung allenfalls vielleicht etwas zu artifiziell. Eine fürchterliche neutrale Wohnung, das immer schräger werdende Verhalten der beiden, die fürchterliche Nüchternheit untereinander. Die Schwierigkeit ihrer Überlegungen. Aber diese Art der Zuspitzung wird gewollt sein.
Hier der Link zur Seite der Inszenierung auf der Homepage des Münchner Residenzheaters.
Hier ein Link zur Seite des Bühnenbildners Alex Lowde, auf der man das – sehr nüchterne – Bühnenbild dieser Inszenierung sieht.
HIER ein Link zu einer kurzen Erklärung von Chris Thorpe zum Stück Victory Condition. Victory Condition ist ein Begriff aus der Welt des Gamings.
©️ des Beitragsbildes: Armin Simailovic
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