Jeder kann doch nur das machen, was er braucht und was er überhaupt kann. Mehr geht nicht. Wir sind keine Übermenschen! So hat es vielleicht auch Bertolt Brecht gesehen, als er für das Stück „Trommeln in der Nacht“ ein Ende gesucht hatte. Es war das zweite Werk des damals 24-Jährigen. Gestern war Premiere in den Kammerspielen, „Trommeln in der Nacht“ von Bertolt Brecht. Inszeniert von Christopher Rüping.
Ja, wir können nur das machen, was wir brauchen und können, also schaffen. Wir sind keine Übermenschen! Vielleicht hat Brecht gesehen, dass ein Mann, der nach dem I. Weltkrieg und vier Jahren Kriegsaufenthalt in Afrika nach Hause kommt, nicht gleich an einer Revolution teilnehmen kann. Auch nicht aus Frust. Irgendwo hört es doch auf! Der tot geglaubte Kriegsheimkehrer Andreas Kragler – gespielt von Christian Löber – sucht Halt in seinem Leben. Es hat sich in seiner Abwesenheit alles weiterentwickelt. Er gehört da kaum mehr hin. Er sucht und braucht Vertrautes! Seine Verlobte Anna sollte schon einen Anderen heiraten, sie ist sogar schon schwanger von ihm, er selber galt als tot, erscheint wie eine Leiche auf der Bühne, die Fabrik des Schwiegervaters in spe stellte um auf Kinderwägen. Und er: Vier Jahre Afrika, völlig fertig, zurück in der alten Heimat. Wenn das nicht zu Orientierungslosigkeit führt! So kann es übrigens auch Flüchtlingen gehen, die derzeit hier in Deutschland sind. Andreas Kragler entscheidet sich im Stück „Trommeln in der Nacht“ VON Brecht originalgetreu aber dennoch – Anna kehrt zu ihm zurück – für seine damalige Liebe, für Anna. Ich verstehe diese Variante sehr gut, die Revolution war doch wohl eher etwas für daheim Gebliebene.
Es gibt zwei Versionen der Inszenierung, die künftig abwechselnd gezeigt werden: Einmal „Trommeln in der Nacht“ VON Bertolt Brecht und einmal „Trommeln in der Nacht“ NACH Bertolt Brecht. Die Version Trommeln der Nacht VON Bertolt Brecht ist die von Brecht geschriebene Version. Bertolt Brecht hatte dann jahrelang mit diesem Ende gehadert, mit der Entscheidung für die Liebe und gegen die Revolution.
In der zweiten Version der Inszenierung, „Trommeln in der Nacht“ NACH Bertolt Brecht, wird sich Andreas Kragler anders entscheiden. Was ja zumindest „auch“ im Sinne von Bertolt Brecht sein kann! Er wird sich für die Revolution entscheiden. Ich bin gespannt, am Sonntag Abend ist die Premiere dieser zweiten Inszenierung. Ich werde auch über die zweite Fassung berichten. Brechts Stück sollte ursprünglich „Spartacus“ heißen, da es in der Zeit des Spartacus – Aufstandes nach dem I. Weltkrieg geschrieben war. Das deutet in der Tat auf das Interesse Brechts an der Revolution hin. Obwohl er eben letztlich ein Ende gegen die Revolution gewählt hatte.
Zur Inszenierung: Es ist eine sehr gelungene Inszenierung. Getragen von einem überzeugenden Ensemble. Starke und sehr glaubhaft prägende Bühnenpräsenz haben vor allem Damian Rebgetz (als Journalist Barbusch) und Christian Löber (als Andreas Kragler), auch Wiebke Mollenhauer (als Anna). Es ließe sich so viel dazu sagen. Es gibt so viele Aspekte! Was da alles aus dem Text herausgeholt wird! Allein die Vielschichtigkeit der Inszenierung. Die immer wunderbar zur Brechtschen Zeit passenden Elemente, auch wenn stückchenweise Andeutungen zu modernerer Zeit gebracht werden, wenn etwa Damian Rebgetz „I shot the sheriff“ singt. Oder wenn die Modernität in der späteren Kostümierung und im Bühnenbild (etwa die herabgelassenen Neonröhrenkonstrukte) Einzug erhalten. Bertolt Brecht wurde damit aber, war mein Eindruck, in keiner Weise ausgehebelt. Es bleibt ein Brechtabend.
Zuerst wird man zurückgeführt in den ersten Akt der Inszenierung von 1922. Deutlich ironisch wird im alten Stil gespielt. Die Zeiten im Theater haben sich geändert! Die Uraufführung 1922 fand damals in den Münchner Kammerspielen statt (an anderem Ort). Das gleiche Bühnenbild wurde jetzt rekonstruiert. Dann rutscht man langsam in modernere Zeiten. Dennoch bleibt man voll und ganz im Thema von Bertolt Brecht. Es zerfaselt nicht! Weitere „Schicht“: Der Journalist Barbusch begleitet das Bühnengeschehen in immer wieder anderer Form auf süffisante Art und Weise. Er singt, er beobachtet, er erklärt einer fiktiven Person neben der Bühne den Inhalt. Ein weiterer wichtiger Aspekt der Inszenierung: Die Einbeziehung des Publikums. Es gelingt, das Publikum nicht beim bloßen Glotzen zu belassen. „Glotzt nicht so romantisch“ hatte Bertolt Brecht schon in seiner Uraufführung 1922 im Foyer der Kammerspiele plakatiert. Auch er richtete sich damit schon an das Publikum. Das Publikum, das auf der Bühne so gerne mit Dramatik, mit Mord und Totschlag amüsiert werden will, wird wachgerüttelt. Christian Löber – unterstützt von weiteren Schauspielern – wendet sich gegen Ende kämpferisch an das Publikum: Sinngemäß: „Nein, wir bieten Euch kein Drama, da müsst ihr schon selber dafür sorgen, wenn sich was ändern soll!“
Die Inszenierung bleibt insgesamt irgendwie nah dran an Bertold Brecht, der vor fast 120 Jahren in Augsburg geboren wurde. Allenfalls etwas ratlos hatte ich die Kammerspiele verlassen. Ich musste die Vielzahl der Aspekte erst einmal verdauen. Aber dafür habe ich ja auch noch die Aufführung der zweiten Versionam Sonntag, die sich nur am Ende von der gestrigen Inszenierung unterscheiden wird.
Wieder einmal sage ich: Hingehen!
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