Mehrere Jesidinnen sind bei „Licht“ an den Münchner Kammerspielen nach einjähriger Vorbereitungszeit bereit, auf der Theaterbühne (künftig auch in anderen Städten, auch international) über ihre persönlichen Erlebnisse im Zusammenhang mit dem Völkermord an den Jesiden zu erzählen. Es wird eine einzige lange Geschichte erzählt, die sich über viele Erzählabende an mehreren Orten erstrecken wird, bis sie zu Ende erzählt ist.
Am gestrigen Premierenabend waren es zwei junge Frauen, die erstmals erzählten. Weitere Abende folgen in München morgen, Samstag, 25.02., am Sonntag, 26.02., und wohl auch noch einmal im April. Das Projekt hat etwas Einmaliges und dadurch Besonderes: Jede einzelne Geschichte wird nur einmal erzählt, jeder Abend ist zeitlich offen, „bis die Erzählenden nicht mehr können“, heißt es! Die Bühne ist fast leer. Wenn eine Erzählerin mit ihrer Geschichte aufhört, setzt die nächste Erzählerin die Geschichte möglichst an deren Ende fort.
Das ist natürlich zweischneidig: Man erwartet Grauenhaftes, will aber nicht voyeuristisch sein. So war es in jedem Fall auch das Projekt an sich, das sehr reizte: Die absolute Einmaligkeit jedes Abends der Reihe und deren Unmittelbarkeit. Ein Erlebnis für den Theaterfreund, auch wenn das Thema wahrlich nichts mit Theater zu tun hat!
Es kam im Grunde am Premierenabend etwas anders (aber wie gesagt, jeder Abend wird anders!): Der Premierenabend mag dadurch geprägt gewesen sein, dass sich die Erzählerinnen erst einmal langsam an die erlebten Ereignisse herantasteten. Auch das ist sicherlich für die Erzählerinnen nicht leicht. So blieb es am Premierenabend zunächst weitgehend bei der Schilderung der Atmosphäre. So ist das eben, wenn eine lange Geschichte erzählt wird.
Bei der jungen ersten Jesidin, Awaz Abdi, (siehe das Beitragsbild) war es ohnehin verständlich, dass sie ausführlich (fast 2 Stunden lang) nur über die unruhige Nacht und die Abreise erzählte, als der IS in ihr friedliches Kinderleben kam. Awaz Abdi erzählte aus ihrer Kindheit, nach fast genau einer Stunde ihre Erzählung sagte sie zum ersten Mal: „Plötzlich hörte man Geräusche…“. Sie erzählte von der Unruhe der Familie, der Flucht, von den Lebensumständen ihrer Kindheit – nur davon erzählte sie, nicht vom Grauen. Das ist wahrlich sehr verständlich für ein junges Mädchen und jeder Einschnitt der Kindheit wird für sie persönlich schmerzhaft genug sein, sie hat ja die Bilder vor Augen.
Die zweite erzählende Jesidin, Najlaa Matto, war etwas älter. Sie fängt zum ersten Mal an zu schluchzen, als sie erzählt, dass es bei insgesamt vier Familien in der Nachbarschaft keinen Joghurt gab(!). Sie erzählt auch vom Tomaten Holen in der Nachbarschaft. Dabei hat sie im Grunde immer wieder erzählt, dass „alle Angst hatten und viel weinten“, weil die IS kam. Es lag sicherlich auch an ihrem einfachen Deutsch, das letztlich zu einer erzählerisch sehr einfachen Klage führte, die – meinte man fast – irgendwie zuviel Betroffenheit auslösen sollte. Sie hat wahrscheinlich Grauenhaftes erlebt, erfahren und gesehen – bei ihrer Erzählung merkte man es allerdings nicht.
Insgesamt war der Premierenabend für sich gesehen so aus meiner persönlichen Sicht gerade durch die Erzählung von Najlaa Matto fast eine Verharmlosung des brutalen Völkermordes an den Jesidinnen und Jesiden! Ja, die UN hat es mittlerweile als Völkermord eingestuft. Es mag in den kommenden beiden Terminen deutlicher – und vielleicht auch persönlicher – um die Taten des IS gehen. Sofern die Erzählerinnen fähig sein werden, darauf einzugehen.
So blieb an diesem Premierenabend jedenfalls ein ungutes Gefühl: So schrecklich und unbeachtet das Schicksal der Jesiden und Jesidinnen gewesen ist: Eilige Fluchten mit dem Auto in die Berge – das prägende Thema zumindest des Premierenabends – sind momentan nicht unbedingt Thema, um übermäßig Betroffenheit auszulösen – wenn es schon um Betroffenheit geht! Siehe allein die schrecklichen Schicksale in der Ukraine, siehe die grauenhaften Schicksale beim Erdbeben in der Türkei!
Aber jeder Abend wird anders sein. Und es waren eben die Anfänge einer langen Erzählung und das Projekt bleibt sehr besonders.
HIER der Link zur „Stückeseite“ auf der Website der Münchner Kammerspiele.
Copyright des Beitragsbildes: Sima Dehgani
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