Wieder ins Theater – nach längerer Zeit. Ja, es kam mir vor wie ein Wagnis. Seit Beginn der Coronazeit lief Theater allenfalls online. Auch der Online-Hype ließ nach. Aber im Vertrauen auf die mittlerweile entwickelten guten Konzepte der Theater wg. Corona bin ich wieder in die Münchner Kammerspiele. „Touch“, eine Arbeit von Falk Richter. Die erste Inszenierung der ersten Spielzeit in der Intendanz von Barbara Mundel. Und die erste Inszenierung überhaupt von Falk Richter an den Münchner Kammerspielen.
Falk Richter ist ja bekannt als Autor und Regisseur, seit 2020 ist er Mitglied der künstlerischen Leitung des Theaters. Einer der „bedeutendsten Theaterregisseure“ in Deutschland, liest man manchmal. Zuletzt war er mit seiner Inszenierung „Am Königsweg“ von Elfriede Jelinek zum Berliner Theatertreffen 2019 eingeladen. Ich hatte darüber geschrieben. HIER der Link.
HIER der Link zur Stückeseite auf der Website der Münchner Kammerspielen.
Meine Eindrücke aus meinem Besuch der Inszenierung Touch muss ich mit allgemeinen Bemerkungen beginnen:
Vielleicht bedingt durch die kleinere Besucherzahl ist mir – im Foyer des Theaters sitzend – die angenehme Atmosphäre dieses Theaterbaus einmal wieder deutlich geworden. Die Münchner Kammerspiele gelten als „das einzige Jugendstiltheater Deutschlands“. Der Bau entstand um 1900, 1901 war die Eröffnung, die Münchner Kammerspiele zogen 1926 in das Gebäude ein. Das Angenehme: Das Auge trifft auf wenige Ecken und Kanten. Überall leicht gerundete Wölbungen des Gemäuers, die Ornamentik an den Decken, die Türen, dazu die in keiner Weise schrille Beleuchtung, angenehme Blicke und und und. Es lohnt sich, hier in ruhigen Minuten einen Blick auf die Details zu werfen.
Der nächste Eindruck: Jeder Besucher, jede Besucherin trug natürlich Maske. Es herrschte Distanz. Nicht nur im Foyer, auch während der Aufführung. Das hat wirklich einen Effekt, der sehr sehr schade ist. Es entfiel das Erlebnis und Vergnügen, das ich bisher bei jeder Veranstaltung sehr genossen hatte: Die Menschen zu sehen, sie kurz zu beobachten, zu treffen. Gespräche entfielen, Kontakte entfielen, Blicke entfielen – das Interesse an diesen Menschen jeden Alters, die in der Regel in den Münchner Kammerspielen wenig mit „Mainstream“ zu tun haben, musste ich aufgeben. Auch das Conviva im Blauen Haus, das üblicherweise Treffpunkt für Gespräche im Anschluss an Veranstaltungen war, hatte bereits geschlossen. Sperrstunde! Es wird hoffentlich irgendwann wieder besser.
Im Theaterraum selbst war jede zweite Sitzreihe entfernt. Dennoch erschien das Theater gut besucht. Vorteil: Man saß bequemer, freier – die Plätze neben mir waren unbesetzt – man fühlte sich nicht verloren. Kurz befiel mich nur ein klein bisschen Unwohlsein, als schlagartig die zahlreichen Türen in den Zuschauerraum vor Beginn der Veranstaltung geschlossen wurden. Warum sperrt man in unseren Corona Zeiten die Zuschauer so ein? Es mögen akustische Gründe sein. Jedes Klassenzimmer aber wird besser gelüftet! Gut, in Klassenzimmern wird auch mehr geredet… Insgesamt hatte ich aber den Eindruck, dass man im Grunde im Theater in einem sogar sehr sicheren Raum ist, was Corona anbelangt. Ich werde wieder öfters hingehen.
Zur Inszenierung Touch:
Nach der zweistündigen Inszenierung hatte ich einen Eindruck: Es war durchgängig negativ. Als wäre die Welt morgen zu Ende und heute machte man noch ein Theaterstück darüber! Ich fragte mich: Warum das? Falk Richter bringt immer wieder Rundumschläge. Insoweit ist es politisches Theater. Negatives politisches Theater. Rassismus, Feminismus, Flüchtlinge, Tierquälerei, Klimakatastrophe, das Virus, die Vereinsamung des Einzelnen, die Aggression des Einzelnen gegen andere Menschen, der Untergang der Empathie, das fehlende Gefühl des Menschen für andere Menschen, das fehlende Gefühl für sich selber und und und. Es war mir too much! Falk Richter hat ja Recht, der Mensch schafft es nur, alles zu zerstören, mehr kann er nicht! Trotzdem.
All das, was Richter anspricht, kann wirklich mit gutem Recht kritisiert werden. Es wird ja auch im Laufe des Abends einmal treffend errechnet, dass der Mensch imstande ist, die Welt ruckzuck zu zerstören. Und zwar in Windeseile. Wenn die Geschichte der Erdkugel ein Kalenderjahr wäre, wäre die Zeit der Menschheit vielleicht ein Tag vor Jahresende – so ähnlich. Und wir nennen es dann „Geschichte“. Trotzdem.
Man muss auch sagen: Man braucht viel Kraft, um alle diese Themen immer wieder in ein „Theaterstück„ – besser: einen Theaterabend – packen zu können. Falk Richter macht es immer wieder. Braucht es auch! Aber ist es nicht etwas zu unsensibel, gleich auf alles hinzuweisen? Soll der Abend irgendwie aufrütteln? Mir gefallen dazu Stücke viel besser, die einzelne dieser Aspekte herausgreifen. Da kann man sich selber besser überprüfen.
Das ist ohnehin ein Aspekt, der mir fehlte: Es fehlte jede Art von Sensibilität, Wärme und Empathie. Kalt war schon das Bühnenbild: Auf dem Boden liegende Eisblöcke, im Hintergrund eine Lochkarte oder Ähnliches, siehe oben, Kuben zur Abtrennung der Menschen werden hereingerollt, gesichtslose Masken, große Plastikplanen über den AkteurInnen und und … Ebenso die begleitende „Musik“: Kalt, technisch, nicht melodisch. Matthias Grübel hatte schon mehrfach die Musik für Falk Richters Inszenierungen geschrieben. Der Abend „Touch“ endete mit dem Lied „This mess we‘re in“, was wahrlich gut passte! Auch das aber ist alles andere als ein zartes Lied, eher düster.
Auch die Schauspieler: Sie schauen sich gegenseitig kaum an, auf der Bühne ist viel Aktion, man soll sich sicherlich nicht mit ihnen identifizieren. Es wird keine Geschichte erzählt. Es wird die Zerrissenheit und Einsamkeit der Personen dargestellt. Alle Schauspieler und Tänzer bringen immer wieder Tanzeinlagen. Auch diese Tanzeinlagen zeigen abrupte, verzerrte Bewegungen. Der im Rollstuhl fahrende kleinwüchsige Erwin Aljukic war allerdings ein Erlebnis! Mir ging es so: Er bekam mehr und mehr ein Gesicht, etwas, was man bei einem Menschen in seiner Lebenssituation sicherlich etwas weniger berücksichtigt. Von ihm möchte ich gerne noch mehr sehen!
Schließlich entwirft Falk Richter einen Blick in die Zukunft: Auch der ist aber nicht schön. Die Schauspieler bewegen sich langsam wie im Weltall in Astronautenanzügen mit übergroßen eckigen und durchsichtigen Kopfbedeckungen.
Nun, die Münchner Kammerspiele bieten zu Beginn der neuen Intendanz ein vollbepacktes Programm. Ich werde das ein oder andere sehen können.
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