René Pollesch hatte an den Münchner Kammerspielen mit seiner neuesten Inszenierung „Passing – its so easy, was schwer zu machen ist“ Uraufführung. Eine riesige Spinne auf der Bühne, um sie dreht sich alles. Es ist ein Theoriewulst ohne eine bestimmte Handlung – nicht ganz zeitgemäß, aber irgendwie gewinnendes Theater.
An Drahtseilen auf- und abfahrend, nicht bedrohlich, nicht ekelhaft – wie einst Tarantula, die im Hintergrund in Filmausschnitten längere Zeit zu sehen ist – ,ihr Inneres kann bestiegen werden, sie sitzen teils im Inneren.
Auf www.nachtkritik.de ist die Spinne beschrieben als „Porsche Cayenne-gleiche Spinne“. In der Tat, nicht schwarz, nicht behaart, fast schick, modern, wie das Interieur eines hochklassigen PKW – orangefarben, schwarz, silberne Metallzusätze. Auf dem Weg zu Künstlicher Intelligenz.
Nicht nur mit der Spinne greift René Pollesch im Grunde zunächst einmal in eine Zeit zurück, die nicht mehr existiert. Blicke in die Zeit der 70er-Jahre sind es. Auch die SchauspielerInnen sind – in amerikanischem Style – in dieser Zeit – der Zeit der Tarantulafilme, der B-Movies – gekleidet. Und Filmausschnitte alter Streifen eben – schwarzweiß – sieht man. Auch Tarantula. Andererseits die „moderne“ Spinne auf der Bühne, das ist der Widerspruch an diesem Abend, mit dem man umgehen muss.
Verbunden sind beide „Zeiten“ durch zeitlose Themen, über die alle – ohne erkennbare Orientierung – reden. Inhaltlich kann man den Abend kaum genauer beschreiben, geschweige denn zusammenfassen. Man beobachtet eine Gruppe von Menschen (sechs Personen), wie sie sich letztlich Gedanken macht zu diesen Themen – Text, Theorie, Sprache, René Pollesch eben, ein wenig Kapitalismuskritik, Bertolt Brecht, das Theater ( … das Theater müsste ein Flugblatt sein, dann könnten es auch die sehen, die am Boden liegen …), das Leben.
Es hat mit Themen zu tun, die wohl nach René Polleschs Ansicht zeitlos und auch jetzt zeitgemäß sind. „Passing“ heiße „… durchgehen als …„, eines der Themen, über die geredet wird. Sinngemäß: „Wir wollen nicht sein, was wir sind – das können wir garnicht -, wir wollen „durchgehen als …„“. Passing eben. Wie Schauspieler. Oder sinngemäß: „Im Grunde wollen wir, dass immer nur etwas „nebenan“ geschehe, nicht unmittelbar mit uns„: Und alle sagen etwas dazu.
Handlung? Ein Film wurde gedreht. Im Abspann heißt es aber nicht „Ende“, sondern „Fertig!“. Der Regisseur – Thomas Schmauser – regt sich auf, versteht es nicht. Auch die Anderen – Kathrin Angerer, Kinan Hmeidan, Kamel Najma, Benjamin Radjaipour, Damian Rebgetz – überlegen, sind verwirrt. Und schon ist man im ersten Thema: Was ist schon jemals „zu Ende“? Und „Fertig“: „Fertig“ als abgeschlossen, „fertig“ als erschöpft, am Ende, oder was? Und sie reden.
Was überzeugt und Spaß macht, sind die SchauspielerInnen: Kathrin Angerer – die herrlich Harmlose, Unbedarfte. Benjamin Radjaipour – der junge Schlaue, Thomas Schmauser – der aufgeregte Regisseur/Filmproduzent. Diese Drei spielen wunderbar! Sie machen den Abend zu einem doch noch gelungenen Abend! Damian Rebgetz – amerikanischer Cop der 70er Jahre – ist als Einziger nicht genau einzuordnen, hatte vielleicht auch am ehesten Schwierigkeiten damit. Und Kinan Hmeidan und Kamel Najma – meist in ihrer Muttersprache redend.
Realitäten und Gedanken ändern sich. Entsprechend ändern sich Blicke. Man merkt es ja immer wieder am Theater. Und wie ist es bei René Pollesch, Ikone der Theaterwelt der letzten 30 Jahre? Ganz zeitgemäß sind seine Themen in „Passing“ nicht, fand ich, es gibt Brennenderes. Gut, Theater muss nicht „zeitgemäß“ sein, muss nicht immer die Finger in die Wunde legen! Aber wenn man René Polleschs Herangehensweise etwa mit Milo Rau, Forced Entertainment, vielen anderen vergleicht: René Polleschs Abend hatte dann etwas Altbackenes, etwas die zurzeit brennende Welt Verharmlosendes. Muss auch mal sein, könnte man sagen!
Kleine „Abschweifungen“ zur Realität noch: Wir stecken in ihr fest, so ist es! Darum geht es! Noch dazu ist es ja so: Der Mensch findet keine guten Lösungen für die Realität! Er bemüht sich, aber meist geht es schief. Unfähig sind wir! Man sieht es weltweit! Hier und da gibt es eine gute Lösung, aber im Grunde: „Fehlanzeige“!
Es geht daher darum, Alternativen zur Realität zu erkennen, das ist unsere einzige Chance! Und gerade die Kunst – dazu gehört die Theaterkunst – ermöglicht es, solche Alternativen zur Realität aufzuzeigen, aufzuspüren! Und die Realität zu kritisieren! Zu zeigen, wie man die Dinge auch sehen kann, wie man sich in ihr verhalten könnte, sie verändern könnte, sie sich wünschen kann …. jede Kunst schafft subjektive Möglichkeiten, uns von der Fessel der Realität zu lösen … was immer dringend nötig ist, immer gut tut.
Nur den Blick auf die letztlich in die Irre führende Realität gerichtet, verlören wir unser Kritikbewusstsein, bekämen einen Tunnelblick, würden Alternativen nicht erkennen, würden Toleranz verlieren, würden uns und die Realität für das Wahre halten, würden an der Realität scheitern, verzweifeln! Wir würden übersehen, auf welch verschiedene Arten wir die Realität sehen und gestalten könnten. Wir würden uns und die Realität mehr und mehr verkennen! Man stelle sich vor, es gäbe nur die Realität – was auch immer die Realität ist, jeder hat ja seine eigene Realität.
Fazit: Ein recht amüsanter Theaterabend, nicht aufregend, etwas weltfremd. HIER der link zur Stückeseite.
Copyright des Beitragsbildes: Thomas Aurin
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