Aufstehen und schreien. Sonst hilft ja kaum mehr was. Marta Gornickas Inszenierung „Jedem das Seine“ an den Münchner Kammerspielen ist so ein Aufschrei. Im Juni noch ein paar Mal zu sehen. Dauer ca. 40 intensive Minuten.
Marta Gornicka lässt in ihren Arbeiten meist einen vielstimmigen – „feministischen“ – Chor sprechen, den sie aus dem Publikum heraus dirigiert. „The Chorus of Women“ heißt es auf ihrer WEBSITE. Sie ist bekannt dafür. Ich kam fast ins Schwitzen. Das hatte ich so nicht erwartet. Ein choraler Protest. Sie nennt ihre Arbeit ja auch „Manifest“. Es geht nicht um schauspielerische Leistung, es geht allein um den Inhalt, die Aussage, die Frage, wie weit der Zuschauer davon in den Bann gezogen wird.
Es war fast die Frage: Ist da der begrenzte und irgendwie exklusive Raum des Theaters noch der richtige Ort? Es hätte auch öffentlich am Marienplatz stattfinden können. Man wäre stehen geblieben! Und es hätte als Protest fast noch besser gepasst! Aber auch Theater wird ja derzeit wieder aktivistischer, politischer, kritischer. Deswegen passt es auch sehr gut ins Theater. Ein Theater mit anderen Kriterien, als gewohnt. Theater müssten fast Begleitmaterial zu solch einer Performance anbieten.
Nur: Protest gegen was war es? Gezeigt wird das Bild von „Fleisch“ und „Sex“ und „Donald Trump“ und „Nationalismus“ und „Faschismus“. Protest gegen eine rücksichtslose und sich immer mehr abgrenzende männliche Welt irgendwie, würde ich sagen. Trends der Zeit, gegen die man aufschreien kann! Das weltweite Machogehabe und seine Auswüchse.
Der Chor rezitiert Auszüge aus verschiedenen feministischen Manifesten. Und er kommt auf die offenbar bekannte Verbindung von Antifeminismus und Faschismus zurück. Schon der Titel „Jedem das Seine“ wurde ja früher von den Nazis missbraucht. Gut und bezeichnend ist dann natürlich: Jede/r der Mitwirkenden ist wunderbar individuell gekleidet, nicht einheitlich wie in alten Nazizeiten. Und jede/r nicht schrill auffallend, sondern angenehm individuell. Und doch entsteht Einheitlichkeit. Aber eben eine Einheitlichkeit des Protestes.
In der Ankündigung der Inszenierung auf der Website der Kammerspiele (HIER der link) heißt es:
Nicht nur wird die existierende Ungleichheit zwischen Männern und Frauen, sondern vielmehr eine patriarchale Weltordnung als strukturelles Problem thematisiert: Auch alle feministischen Manifeste, auf die sie sich teilweise in der Inszenierung beruft, haben daran bisher nichts ändern können, so ihre These.
Hier ein schönes Bild, das Jean Peters vor wenigen Tagen vom Zustand der Welt brachte. Seine Themen, die Themen des Kollektiv Peng!, stehen fast hinter Marta Gornickas Protestschrei. Jean Peters ist Mitglied des KOLLEKTIV PENG! und hielt – nicht als Preisträger! – gerade eine recht bittere Rede zum George Tabori Preis 2018. Er sagte etwa:
„Uns ist da eine Ethik abhandengekommen. Oder, sie ist nicht abhandengekommen. Sie ist wie die Oma in der Familie, die wir ja noch pflegen und lieb haben und die immer einen weisen Rat parat hat, aber sie bestimmt nun mal den Alltag nicht.“
Eine Oma, die nicht mehr schreit. Die Rede endet wie folgt:
„George Tabori hatte die Gabe, sehr verspielt, sehr liebevoll zu arbeiten, wie ich gehört habe. … Er hatte eine feine Gabe, mit einer einladenden, humorvollen und liebevollen Art Regeln zu brechen und uns dazu einzuladen mitzumachen. Davon brauchen wir mehr, und zusammen mit der Oma, die an soziale Gerechtigkeit erinnert, und dem kleinen forschenden Kind in uns können wir uns auch trauen, den Kulturraum für das völlig verrückte und verträumte, aber – und das ist mir wichtig – realpolitische Spiel zu öffnen.„
Ja, Realpolitik, man kann nicht wegschauen. Schön, dass aufgeschrien wird. HIER die schriftliche Fassung der Rede von Jean Peters.
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Copyright des Beitragsbildes: David Baltzer, Münchner Kammerspiele
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