Man kann sich – und wird sich vielleicht irgendwann einmal – sagen, das Leben ist nicht lebenswert. Ganz grundsätzlich oder wegen irgendwelcher Einzelheiten. Leider kommt es immer wieder zu Selbstmordversuchen, man sieht sich am Ende angekommen. Der britische Autor Duncan Macmillan hatte 2013 ein Stück geschrieben über die zwei Selbstmordversuche seiner Mutter (ich denke einmal, es war seine eigene Mutter). „All das Schöne“. Es ist derzeit wieder im Metropoltheater zu sehen, eine Wiederaufnahme. Eine „Komödie“!
Und zwar: Nach dem ersten Selbstmordversuch der Mutter beginnt der Sohn (damals sieben Jahre alt) eine Liste zu schreiben, eine Liste über all die schönen Dinge, für die es sich doch lohne, zu leben. Weil sie, die Mutter, offenbar nichts findet, wofür es sich zu leben lohne. Für den Siebenjährigen steht an Stelle 1 der Liste „Eiscreme“. Er schreibt die Liste im Laufe der Jahre immer weiter. Mehr als 1 Million Dinge benennt er. Das „Schöne“ ändert sich natürlich, wird auch „erwachsener“, es bleiben aber immer humorvolle kleine Dinge, nicht allzu tief schürfende philosophische Überlegungen.
Es ist ein Ein-Mann-Stück – nicht nur am Metropoltheater. HIER etwa ein Trailer der früheren Aufführung am Staatsschauspiel Dresden. HIER vom Theater Göttingen. Oder HIER das Theater Erlangen. Schön und einfühlsam, sympathisch, humorvoll, melancholisch, engagiert und mit Gefühl jetzt jedenfalls gespielt von Philipp Moschitz.
Es ist eine Inszenierung mit großer Publikumsbeteiligung. Denn der Vater des Jungen wird – für eine kleine Beteiligung am Stück – aus dem Publikum gesucht. Der Freund des Jungen wird ebenfalls aus dem Publikum gesucht. Auch eine Tierärztin wird herausgesucht, eine Lehrerin. Und beinahe jeder im Publikum wird im Laufe des Abends eine der vielen „schönen“ Dinge benennen.
Mitten in Freimann liegt es ja wie ein Ufo, das Metropoltheater, in einer Wohngegend im Norden Münchens. Ein äußerst angenehmes Ufo: Man bemerkt schnell das große Engagement aller Beteiligten, deren Freude, Gemeinschaftsgefühl, man merkt eine besondere Nähe zum Publikum. Das Theater hat eine schöne, nicht zu große Bühne, es hat ein schönes kleines Café, drinnen und draußen, schon architektonisch ist es angenehm auffallend.
Das Stück „All das Schöne“ wird im Café gespielt! Typisch für die Stücke des Metropoltheaters: Es sind Stücke mit deutlichen Aussagen! So ist es auch bei „All das Schöne“. Der Junge fertigt also eine Liste mit all den schönen Dingen im und am Leben. „Mein Ziel war, die Tausend zu schaffen. Und ich durfte nicht mogeln, was hieß: a. Keine Wiederholung. b. Die Sachen mussten wirklich großartig sein. c. Nicht zu viele materielle Dinge.“
Dann liegt die Liste für ein paar Jahre vergessen in einem Karton, später zwischen Buchseiten. Immer wieder fällt sie ihm in die Hände und immer fügt er weitere Dinge hinzu. So wird die Liste auch ein Dokument seines eigenen Lebens. Als er ein Studium beginnt und sich zum ersten Mal verliebt, fügt er hinzu: „517. Mit jemandem so vertraut sein, dass man ihn nachgucken lässt, ob man Petersilien-Reste zwischen den Zähnen hat“. Die Liste wird länger und länger. Bis zur Million.
Der Brite Duncan Macmillan hat damit einen lebensbejahenden Monolog – veranlasst durch das Thema Depression – geschrieben, unsentimental, komisch. Die Liste von „All das Schöne“ wird getragen von allen möglichen im Grunde immer banalen kleinen Dingen, die man in seinem Leben alltäglich erlebt, bzw. an sich vorbei rauschen lässt. All diese Dinge werden als „das Schöne“ dargestellt, man muss sie nur sehen, betrachten und beachten. All diese banalen Dinge werden kaum depressiven Menschen helfen, sie helfen eher denjenigen, die noch nicht depressiv sind. Denn es heißt im Grunde: Augen auf und die banalen Dinge schön finden! Mehr geht nicht.
So verlässt man das Theater sicher mit einem breiten Schmunzeln, mit unzählig vielen Banalitäten im Kopf und mit dem Blick auf all das Schöne dieser Banalitäten. Ja, die oft banalen Kleinigkeiten. Kleine Kleinigkeiten ! Sie machen das Leben aus! Nicht irgendeine hochtrabende Idee, wie das Leben schön werden könnte! Das ist allzu oft nur mit Eitelkeit gemischt. Darum geht es, in diesem hilfreichen Stück mit Ausrufezeichen!
Copyright des Beitragsbildes: Metropoltheater München/Fotograf: Jean-Marc Turmes
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