Nun schreibe ich noch über die Produktion „Der Bus nach Dachau“, die ich kürzlich auch am Schauspielhaus Bochum sehen konnte. Neben „Kinder der Sonne“ (HIER mein Bericht dazu) ist es als zweite Bochumer Inszenierung zum diesjährigen Berliner Theatertreffen eingeladen. Es ist ein sehr sensibler, sehenswerter Abend.
Bei Betreten des Theaterraumes wundert man sich schon: Da sitzen ja schon ein paar Zuschauer auf der Bühne – auf schlichten Stühlen – und erhalten eine Einführung in das Stück. Die Einführung wird gebracht am Pult stehend von Ward Weemhoff, einem der Gründer des holländischen Schauspielerkollektiv De Warme Winkel. Schon die Einführung zeichnet sich dadurch aus, dass Ward Weemhoff – dem man genau zuhört, nachdem man sich selber im Zuschauerraum gesetzt hat – im Grunde naturgegebene Distanz zu dem hat, was er erklären will: Er sucht – als Holländer – ständig nach den richtigen deutschen Begriffen. Immer wieder fehlen ihm die Worte, die richtige Aussprache … Distanz bei gleichzeitigem Versuch, den Dingen nahe zu kommen. Darum geht es.
Dabei bezieht Ward Weemhoff seine kleine Gruppe von Zuhörern und Zuhörerinnen immer wieder ein, ihm die richtigen Begriffe zu nennen. Letztlich schaffen es beide Seiten gemeinsam, die Einführung verständlich zu gestalten. Man merkt schnell: Man ist einbezogen, man ist selber betroffen von dem, was kommen wird. Ward Weemhoff führt nach etwa 10 Minuten, die kleine Gruppe der Zuhörer und Zuhörerinnen auf ihre Plätze. Dann ist klar: Sie sind ja Teil von uns allen!
So erklärt also zu Beginn Ward Weemhoff der kleinen Gruppe etwas: – den Hintergrund der Produktion – das Bühnenbild – Dinge zum KZ Dachau:
- Der Hintergrund der Inszenierung ist sehr persönlich: Der Vater von Ward Weemhoff hatte in den Neunzigerjahren einen Film machen wollen über eine Busfahrt ehemaliger niederländischer KZ Häftlinge (Widerständler) zur KZ Gedenkstätte Dachau. Jetzt macht der Sohn Wim also diesen Abend, in dem es über die Arbeiten an diesem nie entstandenen Film des Vaters geht. Drei Zeitebenen. Das KZ Dachau – Vaters Projekt in den Neunzigern – und heute.
- Das Bühnenbild: Man blickt auf eine Werkstatt, hinten eine lange Kleiderstange mit Theaterkleidung; ein einfacher Tisch, einfache Stühle, wie in einer Kantine; alle Schauspieler und Schauspielerinnen in Alltagskleidung, sofern sie nicht KZ Kleidung tragen; die Hälfte der Bühne ist belegt von einem riesigen Kubus, der an einer Seite durch eine große Tür betreten werden kann. Dies wird auch geschehen.
- Im Kubus werden im Laufe des Abends Szenen aus dem KZ Dachau gespielt werden. Es sollen Probeaufnahmen für den Film sein. Man sieht es dann auf großer Videoprojektion auf der Außenwand des Kubus.
Und schon ist man im Thema, bevor es „losgeht“: Zum Einen: Wie kann man etwas erklären, was man nicht selber erlebt hat, wenn einem die Worte fehlen. Und genauer: Wie kann man den kommenden Generationen den Holocaust erklären, wenn alle Beteiligten gestorben sind?
Wie ist denn unsere Erinnerungskultur? Eine Frage, die im Grunde in diesen Jahren beginnt, relevant zu werden. Alle Menschen, die die grauenhaften Einzelheiten des Holocaust mehr oder weniger erlebt haben, werden in Kürze gestorben sein. Erste Frage: Braucht es die Erinnerung an das „banale Böse“? Dann: Wird die Erinnerung künftig nur durch Spielfilme aufrecht erhalten? Steven Spielbergs Schindlers Liste? Stanley Kubrick? Auch darüber spricht man. Wird die Erinnerung künftig nur noch als Märchen transportabel sein? Auch Märchen können das Böse enthalten! Oder wird es wie mit dem Untergang Trojas sein, wird es eine Erzählung werden, bei der früher oder später eher der Autor – Homer und seine Ilias und die Odyssee – im Vordergrund steht, alles zu einer Sage wird? Ist es vielleicht gar unmöglich, sich zu erinnern? Und lernt der Mensch jemals etwas dazu?
Auch all diese Dinge kommen an diesem Abend zur Sprache. Es kommt auch zur Sprache: Soll man einen Film darüber möglichst naturalistisch machen? Werden die realistischen Erfahrungen, wird das wirkliche Schicksal durch computergenerierte Gestalten, die an die Stelle der Betroffenen treten, geradezu ausgelöscht? Wie umgehen mit Leugnern? Muss man nicht erschreckend Persönliches hören? Sehr beeindruckend war zum Beispiel der Monolog von Vincent Rietveld, in dem er lange über die allerletzte Situation, den Rest der Menschlichkeit im KZ Dachau sprach: Das Scheißen! Wenn man nur das noch konnte und wenn einem nur das noch zeigte: Man lebt noch!
Es sind viele Fragen, natürlich aber nicht viele Antworten! Es herrscht eher Betroffenheit auf der Bühne! Betroffenheit auch dadurch, dass man merkt, wie schwer tatsächlich Erlebtes wirklich nachvollzogen werden kann. Wie kann man es also trotzdem nahebringen? Der Abend wird sicherlich auch durch die Arbeitsweise von De Warme Winkel so vielschichtig und sensibel. Ward Weemhoff und Vincent Rietveld erklären in einem Interview, wie sich die Schauspielerkollektiv einem Thema nähert. Es beginnt mit einer Themensammlung, monatliche Meetings, Monat für Monat wächst ein Thema, es kann lange dauern, einzelne Szenen werden entwickelt, die Teile werden montiert …
Hier noch zwei Fotos:


Ein Abend, der „zwischen die Zeilen“ blickt, vorausdenkt, nicht nur „Betroffenheit über den Holocaust“ auslösen will.
HIER der Link zur Stückeseite auf der Website des Schauspielhaus Bochum.
Copyright der Fotos: Isabel Machado Rios
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