Wenn ich der Darstellungsform dieses „Abends“ (7 Stunden!) entsprechen will, müsste ich so schreiben: Ich überlege, wie ich meine Besprechung beginne. Ich habe die Doppelvorstellung am Samstag gesehen. Mir fällt der erste Satz nicht ein. Es könnte beginnen mit …
Da kommt Egbert Tholl um die Ecke, der recht bekannte Theaterkritiker der Süddeutschen Zeitung. Er streichelt seinen Bart über seinem breiten fachkundigen Gesicht und sagt mir: Fange nicht mit dem Titel des Stückes an!
Gut, denke ich, ich beginne dann also meine Besprechung so: In der „großen Pause“ des Stückes. Wir sitzen vor dem Residenztheater, in der Sonne. (Alles zusammen dauert die Inszenierung – eigentlich sind es zwei Abende – wie gesagt, 7 Stunden; es sind am Samstag beide Vorstellungen hintereinander) Da erzählt mir eine Frau, sie habe ihre zwei schwulen besten Freunde noch gefragt, ob sie nicht mitgehen möchten zum Theater. Dem Münchner Residenztheater. Sie kam aus Niederbayern. Beide hätten ihr geantwortet, sie könnten einfach nicht mitgehen. Sie fürchteten, wieder an die schlimme Zeit erinnert zu werden. Das würden sie vielleicht nicht verkraften.
Gut! Aber wie geht es weiter? fragt Egbert Tholl. Schreibe doch jetzt etwas über das Thema des Abends, sagt er noch.
Also schreibe ich: Es geht um AIDS, die fürchterliche AIDS – Welle in den achtziger Jahren in New York. Die schlimmen Jahre, in denen Hunderttausende junger Menschen an AIDS gestorben sind! Wie war das damals, wie ist es heute? Seit Beginn der Epidemie sind 35 Millionen Menschen an AIDS gestorben. Im Mittelpunkt des Stückes stehen die schwulen Eric, Tobi und Leo.
Dann sagt Eric, die zentrale Figur des Abends, zu mir: Es geht nicht nur um AIDS, das weißt Du doch!
Ja klar, sage ich, es geht um Liebe, Zuneigung, Abneigung, Sex, um das Lebensgefühl der Schwulen generell, um deren Sorgen, deren Verhältnis zur Gesellschaft, ihr Verhältnis zur Liebe. Und das alles in den Jahren 1995/1996! Die schlimme AIDS – Welle der Achtziger ist in gewisser Weise das schlimme Vermächtnis.
Es gibt aber noch ein anderes Vermächtnis! sagt Henry, einer der weiteren Protagonisten, in die Runde. Er muss es ja wissen, erfährt man im Laufe des Stückes.
Und Leo fragt mich dann: Wie fandest du uns?
Ich sage ihm: Ich fand vor allem Dich, gespielt von Vincent zur Linden, ich fand Eric, gespielt von Thiemo Strutzenberger, und ich fand Toby, gespielt von Moritz Treuenfels, wirklich phantastisch! Eine tolle Leistung!
Ja, sagt dann Vincent zur Linden in sich versunken zu sich selbst als Leo, es gab standing ovations am Ende der Vorstellung! Habe ich auch noch nicht so oft erlebt, ich bin der Jüngste!
Und, ergänze ich, Matthew Lopez, der Autor des Stückes „Das Vermächtnis“, war persönlich anwesend.
Halt, sagt dann Thiemo Strutzenberger, Eric liebte Toby. Darum geht es. Was ist Liebe?
Ja, sagt er dann als Eric zu Toby, ich liebte Dich, Toby, sieben Jahre lang, wir wollten heiraten! Das prägt den Verlauf der Geschichte. Ich möchte, sagt Eric weiter, Toby immer noch ficken, das sage ich ja auch oft genug auf der Bühne! Aber du hast ja dann in diesem Stück ein anderes Schicksal, Toby …
Aber, erwiderte Toby, ich liebte eben ohnehin irgendwann Adam, mit dem ich mein eigenes Stück auf den Broadway gebracht habe.
Das stimmt, sagte Vincent zur Linden, das kann ich beurteilen, ich spiele ja Leo und Adam.
Aber im Grunde prägen die vielen vielen AIDS – Toten von damals den Verlauf des Stückes, fuhr Michael Goldberg dazwischen, der Walter spielt. Walter, dann gestorben, war ein guter Freund von Eric gewesen.
Stimmt schon, sagt dann wieder Egbert Tholl beschwichtigend. Aber schreib doch erst einmal etwas über die Inszenierung!
Genau, sagt Matthew Lopez. Das Stück wurde nämlich, fährt Matthew Lopez fort, im Jahre 2018 erstmals in London aufgeführt. Die damalige Inszenierung wechselte dann, 2019, innerhalb Londons das Theater, bevor sie – dieselbe Inszenierung, textlich leicht überarbeitet – nach New York ging. Die jetzige Inszenierung am Münchner Residenztheater von Philipp Stölzl ist die erste Inszenierung des Stückes im deutschsprachigen Raum. Es folgt aber schon demnächst, am 22. April, eine weitere Inszenierung meines Stückes in Deutschland, am Staatsschauspiel Hannover!
Und was ist mit dem alten Haus auf dem Land vor New York, das Walter mehr als zweihundert AIDS – Kranken als letzten Rückzugsort vor ihrem so grausamen Ableben zur Verfügung gestellt hatte? fragt Henry wieder in die Runde, der Freund von Walter.
Stop, ich kann jetzt hier nicht die ganze Geschichte erzählen! sage ich mir. Natürlich geht es auch wesentlich um das Haus.
Also ich ziehe mich jetzt zurück, sagt Egbert, ich muss jetzt zu einer anderen Theatervorführung. Macht ihr mal und schreibe Du Deine Besprechung weiter, sagt er mir und geht.
One more thing! sagt Matthew Lopez. The different levels of my narration – the aereas of time, the group of young people, the discussions how to develop the details of the story, the way to tell them etc. – are building a kind of basic element of my narration itself, they are not especially an element of the Munich production.
Sure, sage ich. Aber die Münchner Produktion fällt auf durch ihre Klarheit, nichts ist überdrallert, nichts wird hinzugefügt, nichts wird überspitzt dargestellt, interpretiert, es ist eine sehr sehr realistische Darstellung, denke ich mir mit Blick auf Egbert Tholl, der schon etwas weiter weg ist. But your very impressive narration becomes alive through this clear production. So erkläre ich dann Matthew Lopez, was ich denke.
Dann fahre ich mit der Besprechung fort: Die Vielfältigkeit der Erzählweise! Im Grunde sieht man zu, wie ein Stück entwickelt wird! Und erlebt dieses Stück sofort! Aber es ist das Ergebnis dieser Inszenierung, dass es zugleich schwer und brutal offen und manchmal auch humorvoll und lustig ist. Es endet nur etwas zu abgerundet für meinen Geschmack. Trotzdem: Sehr gelungen! Es könnte sogar sein, dass es besonders beeindruckend ist, dieses Stück, das eigentlich auf zwei Abende verteilt ist, an einem der Tage zu sehen, an denen beide Stücke hintereinander gebracht werden.
Hier noch ein Bild:

HIER ein Trailer. HIER der link zur Stückeseite des Residenztheaters.
Copyright der Bilder: Sandra Then
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