Nicht zum ersten Mal habe ich ein Buch von Juli Zeh gelesen. Dieses Mal hat es mich nicht voll begeistert. Das mag anderen anders gehen, daher schreibe ich hier natürlich darüber. Das Thema trifft ja den Zeitgeist, die „Stadtflucht“. Das Buch hat im Kern wahrscheinlich einige autobiografische Elemente. Wie im Buch, so auch im Juli Zehs Leben: Eine Person – Dora – verlässt die Großstadt und zieht aufs Land in den in Brandenburg gelegenen, verlassen und vergessenen Ort „Bracken“ – einen „Wohnplatz“ der Gemeinde „Gleiwitz“.
Juli Zeh lebt seit Jahren in Barnewitz, einem Dorf im Havelland in Brandenburg, zuvor hatte sie über viele Jahre in Leipzig gelebt.
Etwas ganz Persönliches dazu von mir:
Der Ort -> Barnewitz ist wahrlich nicht weit entfernt von -> Rhinow, dem Ort, in dem meine Familie mütterlicherseits in frühen Jahren ein schönes Häuschen hatte. Ich hatte es nach der Wende noch besucht. Rhinow wiederum liegt neben den -> „Rhinower Bergen“, auf denen wiederum der Flugpionier -> Otto Lilienthal damals, Ende des 19. Jahrhundert, täglich seine Flugübungen machte. Otto Lilienthal stürzte dort am 9. August 1896 ab – bei -> Stölln nahe Rhinow (in der Nähe von Barnewitz also, neben Berlin) – und starb dann auf dem Weg nach -> Berlin bzw. in Berlin. Mein Urgroßvater erlebte diesen Absturz ganz persönlich! Und er war es, der nach dem Absturz als Arzt Otto Lilienthal auf dem Weg nach Berlin begleitete. Ja, mein Urgroßvater!
Zurück zum Roman:
Juli Zeh mag diesen Roman recht schnell geschrieben haben. Er enthält meines Erachtens daher auch rein stilistisch gesehen nicht irgendeine Besonderheit, er schildert inhaltlich einfach den Ablauf gewisser Dinge. Dinge des modernen Lebens in unseren Sphären. Alles, was geschieht, entspricht dabei leider immer wieder irgendwie einem „Klischee“, das wäre mein größter Kritikpunkt. Dem Klischee über Stadtflucht. Dem Klischee über einen vergessenen Ort, der an nichts angebunden ist. Dem Klischee über die Menschen, die dort leben. Dem Klischee über die Menschen, die in Großstädten leben. Dem Klischee, wie man in welcher Situation denken oder handeln wird. Und so weiter. Immer wieder Klischees, Klischees. Ich fühlte mich leider beim Lesen dieses Buches durchgängig so, als würde ich etwas lesen, was nach allgemeiner Einschätzung „nicht anders sein kann“. Viel von diesen Klischees trifft ja zu!
Ich selber mag es aber, wenn ich etwas lese, im Grunde lieber etwas „abseitig“, nicht so erwartbar, so herkömmlich. Andererseits mag ich es, wenn ganz einfache Dinge des Lebens beschrieben werden. Aber dabei freue ich mich immer nur, wenn – allein etwa durch den Schreibstil – etwas Besonderes daraus herausgeholt wird. Dann bereichert mich das Buch.
Ja, es mag so sein, dass einfach alles so ist, wie Juli Zeh es beschreibt. Der Roman ist insoweit die gute und sicherlich weitgehend treffende Schilderung einer gesellschaftlichen Situation. Auf dem Buchdeckel heißt es dementsprechend (Zitat Denis Scheck, SWR Fernsehen): „Ein Buch, das einem die Augen öffnet für unsere bundesrepublikanische Wirklichkeit.“ So kann man es auch formulieren. Es wird so sein. Und wenn man lesen möchte, wie es ist, aus dem wilden Berlin in einen vergessenen Ort zu ziehen: Hier hat man ein gutes Lesewerk.
Juli Zeh beschreibt dabei alles wieder sehr gut, keine Frage! Man liest es flüssig und schnell, die Geschichte entwickelt einen Zug. Man hat alles gut vor Augen! „Dora“, die Hauptperson des Romans, neuerdings getrennt von ihrem in Berlin/Kreuzberg lebenden Lebenspartner (oder Ehemann) „Robert“, kommt im Laufe des Romans tatsächlich einzelnen zunächst eigenartig wirkenden Menschen, die auf dem Land um sie herum leben, näher. Aber auch etwa Robert: Man liest etwas, was man kennt. Robert ist zunächst immer mehr „ökologisch unterwegs“, fast besessen von jedem Detail, von seiner ökologischen Überzeugung. Dann kam Corona hinzu, auch das wird zu seiner Berufung! Und alle anderen, die nicht seiner Überzeugung sind, sind insoweit Trottel, sollten lieber seinen Vorgaben folgen. Das hält Dora dann nicht mehr aus. Man kennt es. Aber auch hier: Es wird geschildert, aber man erhält meines Erachtens dazu leider keine weiterführenden Gedanken.
Zum Ort Bracken: Das schwule Pärchen im Ort, der „Dorfnazi“ auf dem Nachbargrundstück – das bezeichenderweise durch eine Mauer von ihrem Grundstück getrennt ist, auch andere Bewohner lernt Dora kennen. Vieles verwundert, stört und irritiert sie, aber es entstehen Beziehungen, über ihre persönliche emotionale „Mauer“ hinweg gewissermaßen, die diesen Roman prägen. Insoweit hat dieser Roman übrigens Ähnlichkeiten zu ihrem vorherigen Roman „Unter Leuten“. Das ist jedenfalls der Weg dieses Romans: Man zieht in eine „fremde Welt“, an der einen zunächst vieles stört oder verwundert, und kommt dann doch zwangsläufig dieser Welt näher. Das ist auch der positive Aspekt dieses Romans. Hinter jedem Klischee steckt mehr und jede Welt ist berechtigt.
HIER ein Link zu einem Filmbeitrag der Sendung ASPEKTE über den Roman.
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