Nach einer kleinen Krankheitsphase schreibe ich noch über zwei Theaterbesuche, die ich kürzlich (kurz, bevor mich die Erkältungswelle erwischt hat) erleben konnte: „Herkunft“ von Saša Stanišić und „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ von Bertolt Brecht – zwei Inszenierungen am Münchner Volkstheater. Oben ein Bild des neuen Gebäudes des Volkstheaters.
Für „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ sehe ich im Programm weitere Vorstellungstermine, für „Herkunft“ nicht.
HIER der Link zur Website des Münchner Volkstheaters. Ich hatte erstmals Gelegenheit, diesen imposanten Neubau zu besuchen!
Zunächst über „Herkunft“ von Saša Stanišić: HIER speziell der Link zur Stückeseite von „Herkunft“ auf der Website des Münchner Volkstheaters.
Was ist „Herkunft“? Was zählt sie? Den Roman „Herkunft“ von Saša Stanišić auf die Bühne zu bringen ist nicht leicht. Es wurde verschiedentlich versucht und stellte sich immer wieder als schwierig dar. Der sehr persönliche Roman „Herkunft“ passt kaum auf die Bühne, meint man. Er wurde schon mehrfach inszeniert, beispielsweise HIER, im Herbst 2021, an Nationaltheater Mannheim, oder HIER, im Sommer 2021, am Thalia Theater Hamburg. Seit Herbst 2020 gibt/gab es nun auch am Münchner Volkstheater die Inszenierung von „Herkunft“.
Der Roman von Saša Stanišić war ein großer Erfolg, wurde 2019 mit dem Deutschen Buchpreis des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet. Es ist im Grunde ein trauriges, ernüchterndes Buch. Es geht nicht darum, was Herkunft ist – darum auch, es geht vielmehr mehr um das VERSCHWINDEN von Herkunft, das Verschwinden von Vergangenheit. Immer wieder geht es auch um das Sterben, um den Tod. Man könnte sagen: Saša Stanišić, geboren in Višegrad, Bosnien-Herzegowina, stößt mit diesem Buch Türen zu seiner eigenen Vergangenheit auf und muss immer wieder sehen, dass eigentlich alles verschwindet, verschwunden ist, sich aufgelöst hat – wie der Staat Jugoslawien. An einer Stelle – im Buch jedenfalls – sagt er auch sinngemäß: Man lebt nicht für die Vergangenheit, sondern für die Zukunft! Eine Art Fazit nach seiner Reise in die Auflösung. Saša Stanišic war noch im ehemaligen Vielvölkerstaat Jugoslawien (unter Tito) geboren, 1978, er musste früh seine Heimat verlassen, landete 1992 in Heidelberg, lebt heute in Hamburg. Alle Orte und all die Zeitspannen spielen im Roman und auf der Bühne eine Rolle. In Oskoruša besuchte Saša Stanišic dann 2009 – darüber schreibt er besonders – erstmals seine Großmutter, die – zusammen mit ihrer Erinnerung und ihrer Vergangenheit – durch ihre Demenz ebenfalls mehr und mehr aus dem Leben verschwand. Alles verschwindet, was bleibt? Der Roman besteht aus Sequenzen, einzelnen Bildern, Erinnerungen, es ist keine zusammenhängende Geschichte.
Die Inszenierung am Münchner Volkstheater geht mit diese „Zerrupftheit“ schön um. Die durchweg jungen und so gut spielenden Schauspielerinnen und Schauspieler des Ensembles (Jakob Immervoll, Jan Meeno Jürgens, Jonathan Müller, Pola Jane O‘Mara, Nina Steils, Anne Stein) sind alle zusammen Saša Stanišic, schlüpfen auch – eher dezent – in die anderen Rollen, die Rolle der Großmutter von Saša Stanišic vor allem. Man erlebt die SchauspielerInnen als eine sehr gelungene Einheit. Man erlebt in der Bühnenfassung auch einige der Zeitensprünge gemäß dem Roman, aber sie werden schön zusammengehalten. Das Bühnenbild schafft es ebenfalls, nicht weiter zu verwirren. Alles ist zeitneutral gestaltet, nüchtern und klar auf der dunklen Bühne, verschiedene Funktionsgegenstände, eine rollbare Treppe, Overheadprojektoren, andere nicht zeitgebundene Dinge.
Buch und Inszenierung (Regie Felix Hafner) sind wortintensiv, es geht eben um die gedrängten persönlichen Eindrücke von Saša Stanišic. „Herkunft“ jeder Art war wohl immer schon das prägende Element im Leben von Saša Stanišic, es begann mit den verschiedenen ethnischen Herkünften im damaligen Jugoslawien. Herkunft war der Auslöser der Balkankriege (deren Zusammenhänge werden schön knapp und hilfreich im Programmheft des Abends zusammengefasst). Daneben durchzieht den Roman und vor allem die Inszenierung die prägende Frage nach familiärer Herkunft. Der Besuch der Großmutter, das Verschwinden des Großvaters, das Verschwinden der Vergangenheit. Das Verschwinden jeglicher Herkunft. All dem spürt Stanišic nach, auch wenn es – außer dem Verschwinden von allem – natürlich kein Ergebnis seiner Überlegungen gibt.
Eine schöne Inszenierung, es ist gelungen, dieses schwierige Buch – was fast unmöglich scheint – auf die Bühne zu bringen, auch wenn ein deutlicher Schwerpunkt, ein prägender Hauptgedanke oder Ähnliches (die Traurigkeit des Verschwindens von allem etwa) an diesem Abend nicht richtig greifbar wird. Aber auch der Roman liefert einen solch deutlichen Schwerpunkt der Erkenntnisse nicht. Das wäre ein „Plus“ der Inszenierung gewesen. So gesehen ist man vielleicht etwas zu vorsichtig geblieben!
Copyright des Beitragsbildes: Münchner Volkstheater, KÖ
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