Ein Kontrastprogramm zum „wortlosen“ Stück Caspar Western Friedrich von Philippe Quesne in den Kammerspielen: Das bekannte Beziehungsdrama Wer hat Angst vor Virginia Woolf von Edward Albee im Residenztheater. Es läuft dort seit Herbst 2014, wurde 1962 in New York uraufgeführt. Zwei Ehepaare, die an einem Abend unter Alkohol gnadenlos ihre extremen Scheinwelten aufdecken. Und ebenso extrem wird es gespielt – vor einem übrigens langweiligen Bühnenbild. Man liest im Spielplan: Bereits in seinen Inszenierungen Die bitteren Tränen der Petra von Kant (Fassbinder) und Hedda Gabler (Henrik Ibsen) widmet sich Martin Kušej den düsteren Beziehungsspielen des gehobenen Bürgertums. Sein Interesse gilt den Schaukämpfen der modernen Gefühlswelt, deren Verletzungen sich tief in die Seelen und Herzen seiner Protagonisten wühlen, bis ins Mark. Mit Wer hat Angst vor Virginia Woolf wird dem Zuschauer allerdings eine zugespitzte Szene vorgehalten, die sich in der Realität niemals so drastisch abspielen wird. Bei Caspar Western Friedrich dagegen sitzt man vor einem Thema, das jeden betrifft – Mensch und Natur. Und gerade durch die „Wortlosigkeit“ hat jeder Gelegenheit, auf sich selber zu schauen. Auch wenn die Schauspieler weit mehr können, ich finde den Ansatz von Quesne gut. Neuartiger, modern und schon deswegen gut! Meine schlaue Überlegung: Gibt es nicht eigentlich zwei unterschiedliche „Ebenen“ auf der Welt, auf denen wir alle jonglieren? Eine „Scheinebene“ unserer Beziehung zu anderen Menschen und allen Dingen – immer mit Lüge und Selbstbetrug verbunden – und eine andere Ebene der wahrhaftigen Wahrnehmung unserer Stellung zu allem in der jeweiligen Zeit, vor allem in der aktuellen Zeit? Dann war Wer hat Angst vor Virginia Woolf der ersten Ebene zuzuordnen und Caspar Western Friedrich der zweiten Ebene. Die Welt ändert sich momentan rapide und ich denke, die „zweite Ebene“ ist es wert, eine überwiegende Berücksichtigung zu finden. Genau das tun die Kammerspiele derzeit!
©️ des Beitragesbildes: Andreas Pohlmann
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