Vor wenigen Wochen erhielt er den Literaturnobelpreis, der Norweger Jon Fosse. „Norwegen“ ist bei mir im Blog gerade an der Reihe. Zuletzt hatte ich nämlich im Münchner Residenztheater vom großen alten Norweger Henrik Ibsen „Peer Gynt“ gesehen.
HIER die Besprechung zur Inszenierung von Peer Gynt am Münchner Residenztheater.
Bei beiden Autoren – bei Henrik Ibsen und bei Jon Fosse – geht es im Kern um das Leben des Menschen: Was macht man? Was steht man durch? Was wird werden? Wer ist man? Henrik Ibsen ging es eher Goethe-ähnlich an, Jon Fosse fast religiös.
Bei Ibsens „Peer Gynt“ ging es darum, dass ein einzelner Mensch – Peer Gynt – sich zuerst durch seine Welt phantasiert und später alles Mögliche erreichen will und erreicht, um zu sich selbst zu finden. Er findet sich aber nicht. Von Jon Fosse wiederum stelle ich hier zwei Bücher vor: Den Roman „Ich ist ein anderer“ und den Roman„Trilogie“.
Grundsätzliches:
Jon Fosse ist besonders zu lesen. Beide von mir hier besprochenen Romane sind jeweils EIN EINZIGER Satz! (Man stößt drei/viermal mittendrin auf einen Punkt, das muss aber fast ein Versehen des Verlages sein, meinte ich.) Man bemerkt aber dadurch schnell eine besondere Unmittelbarkeit dessen, was man liest. Im wirklichen Leben und in den Gedanken gibt es eben keine Punkte! Das Leben und die Gedanken sind punktlos und kommen dem Leser/der Leserin eines Textes ohne Punkt damit fast näher! Das Leben als nicht endende Reihenfolge von ständigen Handlungen und ständigen Gedanken, von Geschehen und Erinnerungen. Punkte als Satzzeichen wären künstlich. Alles ist ein Fluss. Πάντα ρεί. – Ob Jon Fosse immer so schreibt, weiß ich (noch) nicht.
Zum Roman „Ich ist ein anderer“:
Es steht der Maler Asle im Mittelpunkt, den man durch seine Gedankenwelt begleitet. Eine Gedankenwelt, die noch grundsätzlicher ist, als es Henrik Ibsen beschreibt. Es geht in „Ich ist ein anderer“ manchmal geradezu religiös (christlich) um das Leben und den Tod. Von Gott und dem Vaterunser liest man.
Zweite Feststellung dazu: Jon Fosse ist im Roman „Ich ist ein anderer“ durchaus kompliziert. Etwa: Asle, der einsamer Kunstmaler, hört von einem anderen Asle, den er auch kennenlernt. Vielleicht ist es wiederum er selbst – „Ich ist ein anderer“ eben! Er traf ihn schon irgendwann in der Vergangenheit. Der „andere“ Asle ist ihm extrem ähnlich! Asle denkt immer wieder an seine eigene Vergangenheit, an den jungen Asle also. Man muss überhaupt vorsichtig sein beim Lesen. Asle denkt an mehrere Personen, deren Namen auch fast alle mit dem Buchstaben A beginnen. Asles Schwester heißt Alida, Asles Freundin heißt Ales. Sie ist gestorben. Ales‘ Schwester heißt Alise. Ein Freund von Asle heißt Asleik … . Und Asle fährt ins Krankenhaus, will den „anderen“ Asle besuchen, er denkt auch daran, wie er früher seine Großmutter im Krankenhaus täglich besucht hatte und und und. Kompliziert aber gut verständlich, weil so das Leben ist!
Das aktuell von Asle Erlebte einerseits (die „Handlungsebene“) und Asles Gedankenwelt andererseits wechseln ständig. Der Roman ist eine Mischung von „stream of consciousness“ und Erzählung eines Geschehens. Es wechselt ständig allein durch ein „und“ im punktlosen Roman. Der Roman beginnt auch mit einem „Und …“. Die Erinnerungen, die Asle ständig begleiten, sind dabei wichtiger als das Geschehen, denn gerade dadurch erzählt Jon Fosse, gerade dadurch lernt man Asle kennen. Der Mensch ist nun einmal seine eigene Vergangenheit. Asle fährt Auto, wartet im Schneetreiben auf einen Galeristen, kaum mehr. Auch die Zeitebenen springen ständig. Kindheit – Jugend – spätere Zeit. Wahrscheinlich ist alles autobiografisch geprägt.
Ein Thema, das Asle im Roman „Ich ist ein anderer“ besonders beschäftigt, ist das Malen. Ist es damit ein „Künstlerroman“? In vielen Gedanken äußert sich Asle jedenfalls zu seinem Verhältnis zum Malen, zu seinem Verständnis vom Malen, zu seinen Bildern, zu den Ausstellungen. Schon in der ersten Zeile des Romans spricht er von dem „Bild mit den zwei Strichen“.
Zum Roman „Ich ist ein anderer“ muss man außerdem wissen, dass er Teil einer „Heptalogie“ ist. Deswegen beginnt der Roman auch mit „Und“, er ist der Mittelteil der Reihe. Vor kurzem hat Jon Fosse seine „Heptalogie“ abgeschlossen. Er hat in sieben Teilen – verteilt über drei Bücher – über das Leben und die Vergangenheit dieses einsamen Kunstmalers Asle (und seiner Familie) geschrieben. Die Bücher der Heptalogie lauten insgesamt: „Der andere Name“ (Teile I und II), „Ich ist ein anderer“ (Teile III – V) und „Ein neuer Name“(Teile VI und VII).
Zum Roman „Trilogie“:
Das zweite der beiden Bücher („Trilogie“) ist einerseits ähnlich, andererseits ganz anders: Auch hier jedenfalls – das zur „Ähnlichkeit- schreibt Jon Fosse in einem einzigen Satz! Es ist hier eine Erzählung in drei Teilen. In diesem Roman ist aber die Handlungsebene entscheidend, nicht die Ebene der Erinnerungen. Der Roman „Trilogie“ ist nicht Teil der oben genannten „Heptalogie“.
Der Roman „Trilogie“ ist die düstere und schwere Geschichte eines jungen Paares, in der wiederum Handelnde mit den Namen auftauchen, die man in der Heptalogie findet (Asle vor allem). Es geht wieder um einen Asle, um ihn und seine schwangere Freundin, dieses Mal namens Alida. Alida war im oben besprochenen Roman der Heptalogie der Name der Schwester von Ales.
„Trilogie“ sind (wie gesagt) drei Erzählungen. Der erste Teil erzählt aus der Sicht von Asle, der zweite Teil ebenfalls, Asle hat sich hier aber den Decknamen „Olav“ gegeben. Warum, erfährt man. Der dritte Teil ist ein Rückblick aus der Sicht von Alise, der Tochter von Alida. Alise ist die Tochter aus Alidas „zweiter Ehe“ oder „zweiter Beziehung“, da Asle hingerichtet wurde. Warum wird Asle hingerichtet? Man liest es im ersten Teil! Aufgrund seiner Taten im ersten Teil hat sich Asle auch den Namen „Olav“ gegeben.
Die zweite Ehe oder zweite Beziehung ist Alida nach Asles Hinrichtung mit dem um 25 Jahre älteren Asleik eingegangen. Auch den Namen Asleik kennt man aus der Heptalogie. Wie alles zusammenpasst, ich habe es nicht ganz hinbekommen. Jon Fosse spielt mit den Namen.
Es ist jedenfalls sehr besondere Literatur. Insgesamt ist es nicht die Handlungsebene, die die von mir gelesenen Romane bestimmt, es ist immer wieder die Ebene der Erinnerungen und der Gedankenwelt – meist von Asle.
HIER der Link zur Verlagsseite von Jon Fosse, auf der seine Bücher zu finden sind
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