Es ist der 9. Band der 11-teiligen Reihe „Ortsumgehung“, an der Andreas Maier seit Jahren schreibt. Es ging bisher mit köstlichen Schilderungen, die wir alle, die wir in seinem Alter sind, bestens nachvollziehen können, ein wenig erinnernd an Thomas Bernhard, um das Leben von Andreas Maier in der Provinz in der Wetterau bei Frankfurt.
Seit 2010 kann man Andreas Maier bei seiner Ortsumgehung begleiten. Vom Zimmer seines Onkels in Bad Nauheim in Das Zimmer über das Zuhause in Das Haus, dann über die Friedberger Schuljahre in Die Straße ging es weiter zu seinen ersten Liebes- und Schreibversuchen in Der Ort und Der Kreis und zu seinen Jugendjahren in Die Universität, dann geht es weiter über seine Familie in Die Familie, schließlich über erste Reisen weg aus der Wetterau in Die Städte und jetzt übergreifend über seine Gedanken zur Heimat in Die Heimat.
Ich habe sie alle gelesen. Wer Thomas Bernhard mag, wird auch Andreas Maier mögen. Es ist nicht etwa ein unbedingt ähnlicher Schreibstil, es ist die Tatsache, dass mit einem schönen Abstand, mit Ironie, aber auch mit Ernst, mit klarer und einfacher, aber mit – durch die köstlichen Schilderungen – gewitzter Sprache viele Dinge des Alltagslebens herrlich geschildert werden. Man hat es selbst mindestens ähnlich so erlebt oder beobachtet.
Der Roman „Die Heimat“ wiederum ist nicht zu Unrecht dem Filmemacher Edgar Reitz gewidmet. Dessen bekanntes Filmepos „Heimat“ , eine insgesamt 60-stündige Filmreihe, schildert zumindest, ist mein Eindruck, schwerpunktmäßig die Zeit des 1. und des 2. Weltkriegs in der Provinz, im fiktiven Ort Schabbach im Hunsrück. Andreas Maier schließt in gewisser Weise an dieses Filmepos an, bei ihm geht es – seinem Lebensalter geschuldet (er schreibt ja über sein Leben) – allein um die Zeit nach dem 2. Weltkrieg. Auch bei ihm geht es um die Provinz in Deutschland, seine Wetterau bei Frankfurt a. M. – beginnend, wie gesagt, in den Jahren nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Ich wollte mir bei dieser Gelegenheit das Filmepos von Edgar Reitz auch gleich ansehen, es ist mir leider noch nicht gelungen. Mal sehen.
Die Betrachtungen von Andreas Maier in „Die Heimat“ sind nun demgemäß eingeteilt in vier Abschnitte: Die Siebziger, die Achtziger, die Neunziger und die Nuller. Die Zwanzig-Zehner kommen dagegen nicht mehr vor. Man kann vermuten, dass Andreas Maier das Buch „Die Heimat“ (jedenfalls zum Teil) schon zu Beginn seiner Serie „Ortsumgehung“ geschrieben hatte, also vor mehr als zehn Jahren.
Die Siebziger: Andreas Maier beschreibt hier, wie in der Bundesrepublik Deutschland zunächst im Grunde die Vergangenheit hauptsächlich verschwiegen wurde. Sie blieb auch ihm in seinen jungen Jahren ein Mysterium.
Die Achtziger: Andreas Maier beschreibt dann, wie das Fremde auf Deutschland zukam, auch auf sein Leben in der Wetterau. Italiener, Türken, Osteuropäer, Exilanten auch in der Wetterau, in Friedberg – der Bülent, der Hassan, der Ali – es gab Schüleraustausch etc. Die Bedeutung von „Heimat“ wurde eher geprägt durch die beharrliche Abgrenzung vom „Anderen“ und dem Unverständnis. Erst herrschte eher Angst davor, dann entstand vielleicht Interesse. Dann gab es aber doch die Aufklärung über die eigene schreckliche Vergangenheit, den Zweiten Weltkrieg und die Deutschen, über den Holocaust – in der Schule. Dann kommt Andreas Maier zum Film von Joachim Fest „Hitler“, Hitlerdarstellungen werden „salonfähiger“, auch die Zeiten des NATO- Doppelbeschlusses und der RAF werden gestreift, bevor es den Mauerfall gab. Verwirrung.
Die Neunziger: Seine Freundin/Cousine Ortrun aus der ehemaligen DDR, seine Fahrt Anfang der Neunziger nach Meißen. Schwarze Fassaden. Wieder kam also „Anderes“ dazu, das man verstehen müsste, die Ostdeutschen, die Russlanddeutschen. Dann aber im heimischen Gemeinderat ein Vertreter der NPD. Die Entwicklung ging aber weiter, sie ging dahin, dass man auch in der Provinz immer mehr über die weite Welt erfuhr, allerdings nun aus dem Fernseher. Man musste nicht mehr Angst haben, auch wenn Unverständnis herrschte, es waren zwar wieder schreckliche Geschehen (Jugoslawien, Irak etc.), aber es waren jetzt ja nur Bilder und Berichte aus der Ferne.
Die Nuller: Noch einmal geht es Andreas Maier sehr um die Juden, weil es nie Juden zu sehen gab in Friedberg. Dann stellt er seine Fahrt zur Vergangenheit dar, eine spontane Eingebung, er wohnt ja immer noch in der Wetterau, jetzt mit seiner Frau, er fuhr zu einem alten Wirtshaus, das der mysteriöse Onkel J. immer besucht hatte. Dort wird schließlich die Pissrinne auf der Toilette wichtig, darin kulminiert im Grunde abschließend der Begriff HEIMAT. HEIMAT bleibt ganz banal das eigene Leben, das eigene Bedürfnis, und immer die Vergangenheit, auch wenn sich alles andere so sehr verändert.
Mit einem für Andreas Maier typischen kurzen Epilog endet der Roman: Die Arbeiter an der Ortsumgehung um Friedberg herum, die nicht verstehen können, was der Andreas will. Sie arbeiten weiter. Sie, die seine Vergangenheit, seine Heimat verbauen, eine Umgehungsstraße bauen, so dass die späteren Benutzer der Ortsumgehung nicht einmal mehr seine Heimat sehen müssen oder sehen werden. Sie können sie „links liegen lassen“. Es geht eben immer weiter und Altes wird umgangen.
Von Edgar Reitz gibt es das Zitat: „Heimat ist immer etwas Retrospektives. Ein Gefühl des Verlusts.“ Das ist vielleicht auch die Leitlinie von Andreas Maier.
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