Ferdinand von Schirach hat weltweit Erfolg mit seinen Büchern. Er war früher Strafverteidiger und schreibt seit Jahren durch die Schilderung juristischer Straffälle in immer neuen Varianten über das Verhältnis des Menschen zum bei uns bestehenden Rechtsstaat. Immer wieder läuft es auf die Frage hinaus: Wie empfindet der Leser die geschilderte Rechtsentscheidung?
Diesem Muster, in dem wieder das Rechtsgefühl des Lesers angesprochen wird, folgt auch die Verfilmung des Buches „Feinde“ von Ferdinand von Schirach. Sie wurde am Wochenende im ARD gezeigt und ist weiterhin dort in der Mediathek abrufbar. Das Besondere an diesem „Experiment“ – wie es genannt wurde – ist, dass derselbe Fall aus zwei verschiedenen Blickwinkeln heraus komplett – quasi zweimal – gezeigt wird. Man sah am Wochenende in der Ausstrahlung im ARD daher bis Mitternacht zwei Fassungen desselben Falles. Einmal gesehen aus dem Blickwinkel des ermittelnden Polizeikommissars und einmal gesehen aus dem Blickwinkel des Rechtsanwaltes, der den Angeklagten vor Gericht verteidigte. Zwischen diesen beiden Fassungen sah man außerdem noch Rückblicke auf tatsächlich geschehene ähnliche Entführungsfälle (etwa die Entführung des Sohnes der Familie Metzler oder die Entführung von Dr. Oetker) und Ausschnitte aus Interviews mit betroffenen Personen, Hinterbliebenen etc.
Ich habe es mir angesehen. Es lässt sich trefflich über den Abend diskutieren. Das ist natürlich sehr sinnvoll und von Ferdinand von Schirach ja auch bezweckt. „Darf die Polizei zur Rettung eines entführten Mädchens unter Zeitdruck Druck auf die verdächtige Person ausüben, sie sogar (hier) mit Waterboarding zu einem Geständnis bringen?“ ist die Frage.
Mein Eindruck: So interessant und richtig eine solche Fragestellung ist (man sollte immer wieder über das jeweils bestehende Rechtssystem kritisch nachdenken, gerade durch die Schilderung von extremen Fällen), meines Erachtens war diese Verfilmung nicht sehr gelungen. Ich habe folgende Kritikpunkte für mich gesehen:
- Klaus Maria Brandauer spielte den Rechtsanwalt. Er spielte ihn meines Erachtens unnötigerweise ständig leicht süffisant. So tritt ein Anwalt in einem solchen Fall wohl eher nicht auf.
- Es gab meines Erachtens auch kleine logische Fragezeichen. Etwa: Warum fragte der Polizeibeamte nicht den Anwalt, ob er selber Kinder habe? Auch die Tatsache, dass das entführte Mädchen sterben musste, ist etwas fraglich. Das hat natürlich die Betroffenheit der Zuschauer sehr gesteigert, passierte aber auf einem fürchterlichen Zufall. Die Rechtsfrage – Freispruch oder Verurteilung? – wäre die gleiche gewesen, wenn das Mädchen nach dem erpressten Geständnis lebend wiedergefunden worden wäre.
- Die Verfilmung und die Geschichte bediente außerdem leider immer wieder einfache Klischees. Besonders das Leben des Rechtsanwalts und das Verhältnis zu seiner Frau. Das mag der Erzählung des Films nicht geschadet haben, es stellt nur die Qualität der Verfilmung infrage.
- Vor allem fragte ich mich: Was wollte der Film? Es dürfte bei uns jedermann klar sein, dass der Einsatz von Waterboardingmethoden zur Erzwingung eines Geständnisses – noch dazu von einer Person, deren Schuld noch überhaupt nicht geklärt war -, völlig ausgeschlossen ist. Natürlich ist das dann so erzwungene Geständnis gerichtlich nicht verwertbar.
- Der Zuschauer wurde daher eher mit der Frage konfrontiert: Kann es nicht doch eine Ausnahme geben, wenn es sich um eine so fürchterliche Entführung eines jungen Mädchens handelt? Der Zuschauer wurde ausführlich damit konfrontiert, wie schrecklich so etwas sein kann. Der Zuschauer wusste insoweit sogar mehr, als der handelnde Polizeibeamte. Auch das war etwas fraglich. Dennoch dürfte allen klar sein: Waterboarding zur Erzwingung eines Geständnisses wird nicht zulässig sein. Natürlich führt das zu fürchterlichen Ergebnissen: Der Angeklagte und letztlich Schuldige musste nämlich freigesprochen werden!
- Es wurden dann ausgewählte Zuschauer (Jurastudenten, Eltern…) gebeten, nach Ansehen des Films (den sie vorab gesehen hatten) die Frage zu beantworten: „Ist der Freispruch gerecht?“ Mich irritierte das Wort „gerecht“ in dieser Frage. Zielte die Frage darauf ab zu erfahren, ob man das Urteil dem Rechtssystem entsprechend empfand? Oder zielte die Frage nicht auf das Rechtssystem, sondern auf das Empfinden ab, dass eine solch grauenhafte Tat doch wohl nicht zu einem Freispruch führen könne. Was bedeutete das Wort „gerecht“ in dieser Frage? Letzteres war wahrscheinlich beabsichtigt. Allein die Betroffenheit der Befragten war angesprochen! Die Mehrheit der Befragten antwortete auch, der Freispruch sei nicht „gerecht“. Nur die Juristen sahen es mehrheitlich anders. Unausgesprochen blieb aber die Frage, ob diese Personen dann auch Waterboarding zur Erzwingung eines erhofften Geständnisses tatsächlich zulassen würden – also sogar den Einsatz von Waterboarding in einer solchen Situation als „gerecht“ im Sinne des Rechtsstaates ansähen – oder ob sie bei der Beantwortung der Frage nach „gerecht“ nicht schlicht – nachvollziehbar – ihrer Empfindung folgten, ihrer Betroffenheit, dass so etwas doch nicht „gerecht“ sein könne im Sinne von „menschlich“. Ja, meines Erachtens wurde der klaren Rechtslage mit dem Filmabend „nur“ eine extreme „Mitleidskomponente“ oder besser „Mitfühlenskomponente“ gegenübergestellt. Es ging nicht um das Rechtsgefühl, sondern um Empfindung. Natürlich hat man Empfindungen bei einem so fürchterlichen Fall. Aber das Rechtssystem kann leider nichts gegen solche Empfindungen tun! Das Rechtssystem erscheint insoweit wirklich „unmenschlich“. Das zeigte ja im Ergebnis auch die Verfilmung, in der der Beschuldigte freigesprochen wurde. Aber das Rechtssystem kann nicht anders! Die dahinter stehende Frage (und die Befragung der Zuschauer) führte dabei etwas in die Irre, sie führte nur auf die natürlich angebrachte starke Betroffenheit der Zuschauer.
Wer mir Kommentare zu diesem Fall schicken möchte, bitte gerne. Vielleicht muss ich es anders sehen, vielleicht habe ich etwas übersehen?
Copyright des Fotos: ARD Degeto/Moovie GmbH/Stephan Rabold
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