Am 21. August jährte sich zum zehnten Mal der Todestag von Christoph Schlingensief. Genau zu diesem Todestag kam ein Dokumentarfilm über Christoph Schlingensief in die Kinos, der schon im Februar erscheinen sollte. „Schlingensief – In das Schweigen hineinschreien“. In München wird der Film derzeit in vier Kinos gezeigt.
Der Film läuft derzeit in den Kinos City, Studio Isabella, Monopol, und Neues Rottmann. HIER die Termine.
Ich habe den Film am Wochenende gesehen. Es ist die erste Regiearbeit von Bettina Böhler, die – sehr erfahren und anerkannt – in zwei Filmen als Cutterin für Schlingensief gearbeitet hatte. Er war auch kurz als Onlineangebot auf der Website der Münchner Kammerspiele zu sehen. Matthias Lilienthal, bis vor kurzem Intendant der Münchner Kammerspiele, zählte Christoph Schlingensief zu seinen besten Freunden. Beide kannten sich aus ihrer Zeit an der Berliner Volksbühne.
Der zweistündige Film ist beeindruckend. HIER der Trailer.
Man hatte im Anschluss an den Film das bedrückende Gefühl, das Leben einer Person gesehen zu haben, die in dieser Art einfach fehlt. In totaler Subjektivität, einzigartig, immer wieder seine Zuschauer fordernd und überfordernd, aber mit dem Gefühl, den Menschen im Grunde helfen zu wollen.
Es ist unglaublich, durch den Film allein schon ansatzweise zu sehen, was Christoph Schlingensief in seinen leider nur 49 Jahren alles auf die Beine gestellt hat. Wie er gelebt hat, seine Produktivität, seine Kraft für alles, sein Drang zu kommunizieren. In einem Gespräch mit Amelie Fried sagt er dazu: Er wolle nicht provozieren, sondern es sei „Obsession„. Er hörte oft garnicht auf zu reden. Ja, Obsession, er lebte wohl jede Minute seines Lebens für das künstlerische Kommunizieren seiner besonderen Sichtweise. Für seinen Ausdruck.
Es zählt dabei sicherlich zu den großen Qualitäten von Christoph Schlingensief, dass er andere Menschen mit seinen immer wieder auch provokativen Auftritten und Produktionen nicht persönlich angegriffen oder verletzt hat, sondern allenfalls aufgerüttelt hat. Er wollte sich nie auf Kosten anderer Menschen produzieren. Das mag ein Unterschied zu heutigen provokativen Auftritten und Meinungsäußerungen sein. Heute geht es schnell darum: „Du hast nicht recht, ich habe recht“. Sehr statisch.
Christoph Schlingensief dagegen hat nichts statisch gesehen. Er verstand sich nicht politisch (da geht es viel eher um „Rechthaberei“), seine Sicht der Dinge war nicht politisch, sondern künstlerisch. Auch Aktionen wie „Tötet Helmut Kohl“ waren, merkte man schnell, von ihm nicht politisch ernst gemeint, sondern als künstlerische Überhöhung.
Zuspitzung, Überhöhung, auch mit Humor, gutmütig, aber herausfordernd, sich selbst nicht zu ernst nehmend, immer intellektuell, mit einer irren Kommunikations- und Lebenslust.
Viele der Produktionen und Aktionen von Christoph Schlingensief, vor allem seine Filme der jungen Jahre – die er erstellte, bevor er Arbeiten an der Berliner Volksbühne bringen konnte – sind im Grunde fast völlig unverständlich. Bettina Böhler bringt von vielen dieser Arbeiten kurze Filmausschnitte, die natürlich auch oft unverständlich bleiben. Sie mischt diese „Zitate“ immer wieder mit Ausschnitten von Gesprächen mit Christoph Schlingensief und mit Bildern aus seiner Kindheit und Jugend. Es sind Bilder aus einer anderen, einer (eingebildet) „heilen“ Welt. „Heile Welt“ gab es für Christoph Schlingensief nicht. Völlig verständnislos, aber wohl immer kritik- und vorwurfsfrei, sieht man mehrmals seine Eltern neben ihm.
Es gibt interessante Videos von Gesprächen mit Christoph Schlingensief auf YouTube. HIER etwa ein längeres Gespräch mit Katrin Bauernfeind, das geführt wurde, als Christoph Schlingensief schon wusste, dass er an Krebs erkrankt war. Er spricht auch von Überforderung der Lebenslinie – die Lebenslinie, die er zu Beginn des Films zwischen Toleranzgrenzen auf einem großen Plakat einzeichnet.
Zu schade, er fehlt, er würde uns guttun, wir brauchen solche seltenen Menschen immer wieder.
HIER noch eine gute Besprechung des Films auf ZEIT online.
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