Er sagt: „Alles, was wir besitzen als Menschen, zerrinnt uns ja zwischen den Fingern wie Nebel. Auch die Liebe, die Zeit, Erinnerungen …“ Thom Luz, schweizerischer Regisseur, hat alle Nebelmaschinen, die er in seiner bisherigen Karriere als Theaterregisseur im Einsatz hatte (oder sich beschafft hatte), zusammengebracht und den entstehenden Nebel mit seinen Gedanken dazu zu einem gemeinsamen Einsatz gebracht. Ein Stück, das auch traurig machen kann – nichts bleibt, alles vergeht, alles zerrinnt.
Es war wieder eines der Stücke, die zum Berliner Theatertreffen 2019 (03. bis 20. Mai) eingeladen sind und die vorab auch in München bzw. Bayern zu sehen waren:
- DIONYSOS STADT, der fast zehnstündige Antikenmarathon von Christopher Rüping, ohnehin. Es ist eine Produktion der Kammerspiele. Sie ist ausgewählt zum Berliner Theatertreffen 2019 – läuft noch an den Münchner Kammerspielen.
- ORATORIUM von SheShePop wurde auch zum Theatertreffen 2019 ausgewählt – es war auch an den Münchner Kammerspielen sowie letztens in Augsburg zu sehen.
- UNENDLICHER SPASS von David Foster Wallace wurde ebenfalls zum Theatertreffen 2019 ausgewählt – es war auch in Augsburg auf dem Brechtfestival zu sehen.
- Und jetzt war GIRL FROM THE FOG MACHINE FACTORY von Thom Luz an den Kammerspielen (Kammer 2) zu sehen. Es ist eine Koproduktion der Theater Gessnerallee Zürich, Théâtre Vidy-Lausanne, Kaserne Basel, des Internationalen Sommerfestivals Kampnagel Hamburg, des Theater Chur und des Südpol Luzern. Auch diese Produktion wurde (bekanntlich) zum Theatertreffen 2019 eingeladen.
HIER der Link zur Produktionsseite des Stückes GIRL FROM THE FOG MACHINE FACTORY (mit einem Video vom Stück am Ende der Seite!) und HIER ein schönes Gespräch mit Thom Luz mit seinen Überlegungen zu diesem Stück. Beide Videos lohnen sich.
GIRL FROM THE FOG MACHINE FACTORY ist in den kommenden Monaten noch an verschiedenen Orten Europas zu sehen (Bern, Montpellier, Antwerpen, Athen …). Die Termine finden sich oben rechts in diesem Blog unter „Websites und Termine von Performancegruppen“, dort unter „Bernetta“ (Bernetta ist keine Performancegruppe, sondern Produktionsgruppe, ich muss es einmal besser platzieren).
Eine Lagerhalle, die Firma vor dem Aus, Unordnung, Kartons, Nebelmaschinen, Leitern, Ventilatoren, ein paar Mitarbeiter, das sieht man. Das Stück konnte durchaus traurig machen: Es war keine irgendwie geartete „Story“, der man folgte. Es war mehr eine Beobachtung mit Gedanken zum Leben. Die Mitarbeiter lassen die Nebelmaschinen wirken.
Nebel – das einzige, was die Nebelmaschinen produzieren – hat es nun einmal an sich, sich unförmig auszubreiten – keiner weiß wohin -, dann kurz ansehnliche Bilder zu schaffen, überhaupt nicht greifbar zu sein und dann zu verschwinden. Sich einfach aufzulösen in Nichts. Und eigenartig, wie wir Menschen gestrickt sind. Wir sind im Grunde gefangen von dem Drang, immer irgendetwas erkennen zu wollen, dachte ich mir. Ich habe an mir selber festgestellt: Ständig will man (als Mensch) ja im Grunde irgendetwas erkennen, wenn man etwas anschaut. Man will wenigstens eine Form erkennen, irgendeine Struktur. In jeder Nebelschwade sollte doch am besten irgendetwas erkennbar werden. Irgendeine Assoziation sollte wenigstens kurz entstehen, greifbar werden, aufflackern.
Also: Bei jeder austretenden Nebelschwade hatte man immer wieder unwillkürlich ganz kurz einen kleinen Moment der Erwartung: „Endlich kommt eine Struktur zum Vorschein!“ Aber nein, man sah wieder nichts. Wieder wurde man enttäuscht. Man saß zwar nicht wirklich enttäuscht da, aber irgendwo war diese Enttäuschung. Es heißt ja auch zurecht: „In jeder Erwartung steckt eine Enttäuschung.“ Denn es wird ja nie irgendwo genau das eintreffen, was wir uns innerlich erwarten! So ist unser Leben. Auch Erinnerungen, die Zeit, Entwicklungen, alles verflüchtigt sich. Und das zeigten eben die Nebelschwaden immer wieder.
So hat man eine Enttäuschung nach der anderen zu verarbeiten, wenn man an diesen Abend dem Nebel zusieht. Und noch dazu lösen sich die Enttäuschungen dann in Nichts auf. Vielleicht können wir Menschen eben nicht (mehr) mit „Nichts“ umgehen. Es muss immer etwas sein! Obwohl der Nebel doch so schön aus diesen Nebelmaschinen herauskommt und dann kurz jedenfalls so schöne Bilder erzeugt. …
Auch mit Vergänglichkeit tun wir uns ja schwer. Wir kämpfen darum, alles ewig zu erhalten. Alles wird zeitlos digital speicherbar. Wir arbeiten gegen sich verändernde Fotoaufnahmen auf Papier, gegen schlechter werdende Tonbandaufzeichnungen etc.
Man kann es natürlich auch ganz anders sehen: „Schön, was mit Nebel alles angestellt werden kann!“ Und so weiter…
Ähnliche und weitere schöne Überlegungen zum Nebel und seiner Wirkung schildert übrigens Thom Luz in dem oben genannten und verlinkten Videogespräch.
Kurz noch: Man kann – wenn man sich weiter hineinsteigert – fast sagen, es geht „ganz einfach“ um den Widerspruch zwischen „Sein und Nichtsein“. Ganz simpel! Die Schauspieler versuchen ja, dem ganzen „Nichts“ immer wieder Struktur – also ein „Sein“ – zu geben. Sie verpacken den Nebel, sie erzeugen Nebelmusik (siehe das Blogbild), sie arbeiten mit Tonbändern, machen ein wenig Musik, arbeiten mit den Maschinen, sie zeigen immer wieder mit ausgestrecktem Finger ganz zielgerichtet und wichtig in irgendeine Richtung, sie reden angestrengt miteinander, sie kommen in der Fabrikhalle zusammen. Irgendetwas soll konkret werden – es wird aber nichts konkret. Sie gehen in Nebelschwaden hinein, ohne dass sie irgendetwas merken.
Irgend so ein schöner Gedanke wird auch ausschlaggebend gewesen sein, um dieses Stück zum Berliner Theatertreffen 2019 einzuladen. Es ist ein sinnlicher, poetischer Abend – ganz die Art von Thom Luz, der zuletzt schon mit dem wunderbaren Stück „Traurige Zauberer“ zum Theatertreffen eingeladen war.
Die Einladung zum Theatertreffen 2019 mit dem Stück GIRL FROM THE FOG MACHINE FACTORY erscheint allerdings etwas hoch gegriffen! Meine Überlegung war: Ich könnte mir vorstellen, dass dieses Stück auf einer größeren Bühne, die mehr Distanz schafft, die mehr Weite und Leere bietet, größeren Eindruck gemacht hätte. So war es jedenfalls bei dem Stück „Traurige Zauberer“. Dort war es besonders die Weite und Höhe des Raumes, die beeindruckte und eine besondere Atmosphäre schaffte. HIER übrigens mein damaliger Bericht zu „Traurige Zauberer“.
Vielleicht ist durch die Aufführung dieses Stückes in der kleineren Kammer 2 der Kammerspiele irgendwie ein wenig von möglicher Faszination verloren gegangen (andererseits: Das Stück wird nicht immer in großen Hallen gespielt. Etwa – sieht man im Gesprächsvideo oben – in der ebenso etwas kleineren Reithalle in Basel). Naja, man muss den ganzen Nebel ja danach auch wieder einfangen und einpacken, dann ist es ja gut, dass der Nebel seine Grenzen hat.
Hier noch ein Bild:

©️ des Beitragsbildes: Sandra Then