Es könnte doch ein Theaterabend werden, der irgendwie lohnt, dachte ich. Es geht um die moderne Arbeitswelt, hier in einer Kulturredaktion einer New Yorker Zeitschrift. Gloria heißt das Stück, von Branden Jacobs-Jenkins. Branden Jacobs-Jenkins wird in einem Interview – zu lesen bei http://www.residenztheater.de (HIER) – beschrieben als „one of the most exciting young dramatists working today,” und man zähle ihn zu den in den USA „most original and illuminating writers.” Branden Jacobs-Jenkins hat eine Zeitlang im Magazin The New Yorker gearbeitet. Ich kenne die Verlagsbranche in- und auswendig, habe fast 15 Jahre lang ausschließlich als Rechtsanwalt für das Verlagshaus BURDA gearbeitet. Ich kenne jede Abteilung. Und: Im Stück spielen zwei neue Schauspieler des Ensembles des Residenztheaters mit: Cynthia Micas und Lilith Hässle. Also es gab Gründe, hinzugehen.
Zum Inhalt:
Kendra, Dean, Ani und Miles arbeiten im Midtown-Office eines New Yorker Magazins. Jeder denkt nur an sich. Vieles am Job ist eigentlich (wie es oft im Stück heißt) „scheiße“. Es ist eben ein Sprungbrett für die Karriere. Auch wenn Miles nur Praktikant, Ani eigentlich Neurowissenschaftlerin und (wie die Bloggerin Kendra) auf der Suche nach neuen beruflichen Möglichkeiten eher zufällig in der Kulturredaktion des Magazins gelandet sind. Dean, der „Dienstälteste“ der Redaktion, fühlt sich als Romanautor. In Zeiten des Internets muss man immer auf dem Sprung sein und darf sich nicht zu lange an einer Position festbeißen, sonst bleibt man auf der Strecke. Deshalb beschäftigt sich jeder von ihnen mit sich und seinem eigenen Fortkommen. Eine ganz moderne Situation. Für das Magazin schreiben tut eigentlich keiner, sie haben alle kleinere Aufgaben. So kommt es, dass man die Einladung von Glorias aufwendig geplanter Einweihungsparty zur frisch bezogenen Eigentumswohnung verpasst oder überhaupt nicht ernst genommen hat. Gloria ist seit vielen Jahren in der Schlussredaktion des Magazins steckengeblieben. Sie hat keine Chance auf Veränderung und keine Freunde in und außerhalb des Jobs. Keiner von ihnen hat sich für Gloria interessiert.
Acht Monate später treffen sich Kendra und Dean im Café. Ebenso wie ihre ehemalige Chefin Nan wissen sie um die Exklusivität ihres persönlichen Schicksals als Überlebende von Glorias Amoklaufs am Tag nach ihrer Party in der Redaktion – sie erschießt manche ihrer Kollegen und sich selbst – und unternehmen alles, um ihr Überleben spektakulär zu vermarkten. Wieder: Die persönliche Karriere, der persönliche Erfolg! Ein Buch- oder Fernsehserienhit oder ein verzweifelter Amoklauf können gleichermaßen zu trauriger Berühmtheit führen, die sie ja alle weiterhin anstreben.
Also: Ein Amoklauf als letzter Aufschrei mangels jeder Art persönlichen Erfolges und sozialer Anerkennung und dann sogar der Versuch der Überlebenden, daraus Kapital zu schlagen für die eigene Karriere. Das wird gezeigt. Das Ganze vor dem Hintergrund einer recht desolat dargestellten Medienwelt (fake news!). Naja, fragwürdig. Zum Einen: Ich habe nicht erlebt, dass die Redaktionswelt sooo desolat ist. Zum Anderen: Das Stück wurde in den USA sogar für den Pulitzerpreis vorgeschlagen! Was beschwert man sich da eigentlich gegen Amokläufer, wenn die Veständlichkeit des Amoklaufes hier sogar locker und harmlos mit sozialen Defiziten unserer (Arbeits-)Welt erklärt wird und die Schleife dann sogar im Theater mit denselben fragwürdigen Marktmethoden (Stichworte Aufmerksamkeit, Ichbezogenheit, Karriere, Geld) weitergedreht wird. Es wird auf fast lustige Art gezeigt, wie es funktioniert. Aber soll es zum Nachdenken anregen? Bei mir hat das nicht gewirkt. Da muss man schon sehr kritisch rangehen, um eine Art Selbstkritik an unserer Arbeitswelt oder anderes herauszufiltern. Das Stück gibt dazu kaum etwas her. Da kommt eher braver Applaus.
Auch die Inszenierung: Sie war unspektakulär, harmlos, auch das Bühnenbild. Keine/r der SchauspielerInnen war, fand ich, besonders hervorstechend. Ihre Rollen hatten aber auch keinerlei besondere Prägnanz, keine Entwicklungslinien, keine Brüche. Es hätte um Soziales gehen können, um Amokläufe, um heutige Ichbezogenheiten, um die Medienwelt, die Arbeitswelt. Aber es wurde alles nur gestreift. Also ich weiß nicht. Im Programmheft zum Stück kommen einige interessante Aspekte zur Sprache. Auf der Bühne aber verflachte es. Da passt es, dass Donald Trump jetzt – nach dem Attentat in einer texanischen Kirche – von „Problemen mit geistiger Gesundheit“ faselt. Anstatt einmal auf die gesellschaftlichen Gründe zu schauen. Alles hätte im Stück viel viel desolater gezeigt werden müssen!
Da finde ich das politische Theater von MILO RAU interessanter, auch wenn der das Publikum geradezu quält. An äußerste Grenzen geht. Aber unsere Grenzen sind selbstgemacht und daher immer diskussionswürdig! Der hochaktive und engagierte Milo Rau ist übrigens als Nächstes am 19. November mit seinem Dokumentarfilm „Das Kongo Tribunal“ und einem anschließenden Symposium (HIER der link) zu Gast am Residenztheater. Zwei Jahre nach den tatsächlichen Anhörungen und nur wenige Tage nach seinem Kinostart am 16. November. Ist zwar ausverkauft, aber vielleicht gibt es Restkarten.
Copyright des Blogbildes: Adrienne Meister
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