Es gibt ja den Witz: Treffen sich zwei Planeten, sagt der eine zum anderen: „Hallo, wie geht es dir?“. Sagt der andere: „Nicht so gut, ich habe die Menschen …“ und kratzt sich. Sagt der andere wieder: „Naja, halt durch … das vergeht …“ Das ist die Grundstimmung der Inszenierung „Lear“ von Sebastian Hartmann, die vor wenigen Tagen – am 01. Mai – im Lifestream als einmaliges Event zu sehen war. Eine Inszenierung des Deutschen Theaters Berlin über den Menschen und die Welt, die er hinterlässt.
Die Bühnenfassung der Inszenierung, die aus bekannten Gründen seit Langem nicht zur Aufführung kommen konnte, lieferte das Grundmaterial für dieses Lifestreaming. Sebastian Hartmann hat aus deren „Material“ und Szenen Neues geschaffen. Schon in der Bühnenfassung kombinierte Sebastian Hartmann in einer düsteren Version “King Lear“ von William Shakespeare mit „Die Politiker“ von Wolfram Lotz. Entstanden ist nunmehr also eine besondere Streaming-Fassung. Ob sie noch einmal zu sehen sein wird, weiß ich nicht.
Es ist eine Mischung aus Theater und Film, was genau, kann man kaum sagen. Man kann aber fast meinen, es entwickelt sich derzeit – notgedrungen – ein neues Genre. Die Grenzen zwischen Theater und Film verwischen. Die Kombination bringt Neues hervor. Was man sieht, ist in diesem Fall wahrlich keine „Theateraufführung“, es ist natürlich kein reines Theatererlebnis. Es ist aber auch wahrlich kein „Film“, kein reines Filmerlebnis. Ein Hybrid. Sicherlich in diesem Fall auch getragen und geprägt von der besonderen Technik der Filmaufnahmen: Viele der Szenen sind durch doppelte Filmaufnahmen verzerrt oder besser gesagt: übereinander gelegt, Emotionen erzeugend, siehe das Foto weiter unten.
Doch auch die schauspielerischen Einsätze sind meines Erachtens durch diese Hybridform verändert. Die SchauspielerInnen kommen dem Zuschauer durch viele Aufnahmen deutlich näher! Auch das ist natürlich momentan nichts Neues, öfters werden Kameras während eine Aufführung über die Bühne geführt. Abgesehen davon aber, dass sie, die SchauspielerInnen, immer wieder durch lange Nahaufnahmen genau zu sehen waren und abgesehen davon, dass sie sich ohnehin fast durchgehend in Zeitlupentempo bewegten: Es wirkte, als würden sie nicht als Schauspieler agieren, sondern – natürlich – als „eigene Personen“ mit ihrem künstlerischen Engagement. Auch das ist natürlich an sich keineswegs etwas Neues, Schauspieler sind Künstler. Dennoch. In einer derartigen Kombination von Theater und Film wurde es irgendwie noch auffallender. Besonders vielleicht auch dadurch, dass die sehr eigenen filmischen Aufnahmen, dass die Langsamkeit der Inszenierung insgesamt und dass die – sich gegen Ende fast durchgehend wiederholende – dräuende Musik im Hintergrund alles, gerade die Ausdrücke der SchauspielerInnen sehr emotional machte, Emotionen forcierte. Fast bedrängend. Bedrängend auch durch die Düsternis des Themas.
Das Thema, das Sebastian Hartmann den beiden Werken „King Lear“ und „Die Politiker“ auferlegt, ist düster. Es geht anfangs kurz erkennbar um einen der beiden bekannten wesentlichen Handlungsstränge des „King Lear“, nämlich um den sterbenden König Lear, der sein Reich, seine Ländereien, unter seinen drei Töchtern aufteilt. Aus dem Buch „Die Politiker“ von Wolfram Lotz konnte ich nichts besonders erkennen, ich kenne das Buch nicht. Die Politiker reden, reden, reden, das scheint zum Ausdruck zu kommen. In Sebastian Hartmanns Inszenierung geht es nun aber nicht um einen König, sondern um den Menschen! Im Grunde darum: Was ein alter, schwacher und kranker Mann – der Vorfahre – den Kindern hinterlässt, nämlich eine kaputte Welt! Oder weiter gefasst: Was alle früheren Generationen des Menschen allgemein den nachfolgenden, künftigen Generationen hinterlassen haben und hinterlassen werden. Eben eine kaputte Welt!
„Es wird alles furchtbar, und auch das ist erst der Anfang“, so düster ist der Tenor der Inszenierung! Düstere Bilder, ein Krankenbett, düstere Musik, langsame Bewegungen, ein sterbender Mann im Bett – filmisch und persönlich meist gedoppelt durch Markwart Müller-Elmau und Michael Gerber – so stellt sich der Großteil der Inszenierung dar. Hier:

Auch der Tod (Cordelia Wege) kommt zu Wort. Er redet mit dem Menschen: Du meintest, du kannst die Welt gestalten, Du warst hochnäsig … und so weiter. Im Grunde eine Abrechnung vor allem mit dem alten weißen Mann. Es bleibt am Ende aber kein depressives, kein desolates Gefühl zurück. Es bleibt offen. Das ist gut so. Im Hintergrund der fast leeren Bühne (die Bühne und die „Hinterräume“ des Deutschen Theater Berlin, auch Außenaufnahmen, werden in dieser Filmfassung miteinbezogen), steht ein riesiges, aus vielen schmalen Lamellen bestehendes, sich manchmal langsam drehendes Windrad. Das Rad des Lebens, siehe das Beitragsbild oben, optisch beeindruckend.
Die Inszenierung ist nicht leicht. Texte werden zunehmend schwieriger. Es ist keine Erzählung, es sind zunehmend Worte, die – fast mystisch – mehr und mehr aneinander gereiht werden. Das machte es nicht leicht, auch inhaltlich kompliziert. Und es wurde leider durch eine gewisse Wiederholung fast langatmig. Sofern man beim Thema „der Mensch und die Natur“ und „der Mensch und der Krieg“ und „der Mensch und seine Handlungsweise“ überhaupt von „langatmig“ reden darf.
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