Philippe Quesne mag ja Szenerien, die unberührt sind und von den Menschen irgendwie bevölkert werden. In denen der Mensch mit der Natur in Verbindung tritt. Wobei: Es sind nicht immer Menschen. Nicht immer.
Bei „Caspar Western Friedrich“, seinem vor fast vier Jahren gezeigten „Erstlingswerk an den Münchner Kammerspielen“, waren es in der Tat Menschen, die der Natur gegenüberstanden. Es war noch sehr poetisch, an diesem schönen und ruhigen Abend, über den das Münchner Publikum damals irritiert war. Man konnte sich aber in aller Ruhe Gedanken machen über „Mensch und Natur“.
Auch bei „Crash Park“, das – vor Kurzem – auch an den Kammerspielen zu sehen war, waren es Menschen. Dort war es allerdings schon krasser, unromantisch. Die Natur – eine unberührte Insel -, um die es dort ging, wurde schon eher zerstört von den Menschen, die mit einem Flugzeug abgestürzt waren und sich auf die Insel retteten.
Bei der „Nacht der Maulwürfe“ – es war auch in den Münchner Kammerspielen zu sehen – waren es dagegen Maulwürfe, keine Menschen. Gut, an diesem spielerischen Phantasieabend zum Leben in der Unterwelt, zwischen Oberwelt und Unterwelt, ging es am wenigsten um „Mensch und Natur“. Zu sehen wäre die Nacht der Maulwürfe noch am Theatre Nanterre – Amandier, an dem Philippe Quesne Intendant ist (siehe rechts in der „Sidebar“ des Blogs den link zu Performancegruppen).
Und jetzt, bei „Farm Fatale“, das in den vergangenen Tagen Uraufführung an den Münchner Kammerspielen hatte, waren es Vogelscheuchen, keine Menschen mehr. Alle Menschen waren gestorben, heißt es. Bei „Crash Park“ waren ja nur wenige Menschen gestorben und man hatte das Verhalten der Überlebenden des Flugzeugabsturzes verfolgt. „Farm Fatale“ setze dagegen die „totale Apokalypse“ voraus. Es gab keine Menschen – vielleicht auch keine Tiere – mehr. Ein Plastikschwein, ein künstlicher Vogel fällt vom Himmel, das anfängliche Vogelgezwitscher kann – sieht man – per Fernbedienung abgestellt werden. Vogelscheuchen und ein paar verlorene Strohballen.
Aber auch hier, bei „Farm Fatale“, will Philippe Quesne, dass etwas Unberührtes berührt wird. Das Bühnenbild zeigt es – die Strohballen und die Vogelscheuchen sind anfangs schlicht auf weißem Untergrund und Hintergrund – wie auf einem weißen Blatt Papier – zu sehen. Es ist vielleicht auch nicht mehr viel da. Musikinstrumente werden hereingetragen, die Vogelscheuchen betreiben irgendwie einen Radiosender.
Man muss das Theater aber mit gemischten Gefühlen verlassen: War es Humor? War es Ernst? Vielleicht sollte es gerade so gemischt sein. Zwiespältig, gemischte Gefühle, weil: „Einerseits sehen wir todernste Themen – Umweltzerstörung, Bienensterben, Artensteben, Insektensterben, Klimaveränderung, Protest, keine Natur mehr, das Fehlen tierischer Geräusche bis hin zum Aussterben der Menschheit – und andererseits lachen wir darüber, weil die Dinge humorvoll dargestellt werden. Schon die Vogelscheuchen, köstliche Figuren in abstrusen Gesichtsmasken, siehe das Beitragsbild. Oder hier:

Auch ihre langsamen Bewegungen. Ihre Sprache. Ihre Musik. Auch ihre Kleidung, Stroh kommt überall hervor, ihre Handlungen. Wenn ihnen etwas gefällt, schütteln Sie kurz wild mit ihren Händen. Am lustigsten etwa ist das Gespräch, das die Vogelscheuche, die gerne für den Sender Interviews führt, mit der wohl letzten Biene führt. Bevor auch sie verloren geht. Eine andere Vogelscheuche muss ins Schwyzerdeutsch übersetzen. Das Beitragsbild oben zeigt die Szene. Mehr als die Zwiespältigkeit zwischen Ernst und Humor bleibt von diesem Abend aber nicht. Tiefergehende Gedanken, die sich Philipp Quesne gemacht haben mag, blieben versteckt.
Allenfalls eine positive Grundstimmung wird angeregt. Die Vogelscheuchen finden ein Ei, das die Zukunft – mit allen Gestaltungsmöglichkeiten – zu beinhalten schien. Schön, wenn es so wäre. Die Einführung eines derart abstrakten Symboles – das Ei als Symbol, das Ei des Kolumbus – ist für die alles immer mit großer Ruhe betrachtenden Arbeiten von Philipp Quesne untypisch. Typisch sind ganz normale Menschen. Aber die Vogelscheuchen sind ja auch schon untypisch. Philippe Quesne, Meister der fast poetischen und langsamen Entwicklung von Bühnengeschehen, ist bei „Farm Fatale“ also insoweit ein wenig auf Abwegen. Es bleibt auch sehr nebulös.
Das Ei ist ein etwas billiges Symbol, so entwickelt sich doch auch recht wenig an diesem Abend, der wieder so eigenwillig schön gestaltet ist und zur Freude anregt. Pessimistisch will Philippe Quesne jedenfalls nicht sein, wie man dem Interview im Programmheft entnimmt. „Farm Fatale“ spielt irgendwie mit einem positiven Gefühl.
„Farm Fatale“ wird im April und im Mai an den Kammerspielen zu sehen sein. Ob danach, weiß ich nicht.
HIER ein Trailer zum Abend.
HIER die Seite zum Stück auf der Website der Kammerspiele.
HIER ein Überblick über Stationen des Lebens von Philippe Quesne.
©️ des Beitragsbildes: Martin Argyroglo