Die Musik, die ich hier im Blog bringe, hat manches Mal Erinnerungswerte. Nicht immer, aber oft. So etwa das Lied von SIMPLE MINDS, „Don’t you (forget about me)“. Freunde werden dieses Lied immer mit mir verbinden. Stichwort Lausanne, 1983/84. Es wird heute noch angestimmt, wenn es um meine schäbige Vergangenheit geht. Es war ein wunderbares Studienjahr in Lausanne. Heute „Lola“ von den Kinks. Auch dort spielen sie rein, meine Erinnerungen.
In der jährlichen Sommerzeit, in meiner Kindheit und Jugendzeit, verbrachten wir immer drei/vier Wochen auf Sylt, dieser so trostlosen Insel, diesem deutschen Problemviertel! Ich mit den überforderten Eltern und meinen beiden Geschwistern, dem Bruder und der Schwester. Es war jedes Jahr großer Sommerurlaub. Angereist kamen wir mit dem irgendwie finanzierten Auto. Wir, die kleinen Kinder, lagen damals tatsächlich noch unangeschnallt hinten: Einer auf der Fensterablage, einer auf der Rücksitzbank, einer im Fußbereich (!). Ich sehe mich noch im Fußbereich – die Mittelverstrebung störte immer. Ich erinnere mich gut.
Wir wohnten in einem dieser verfallenen, dreckigen, wertlosen Häuschen in Kampen. „Kampen“ klingt schon wie „Lumpen“. Eine armselige Hütte war es. Es gab aber fließend Wasser! Es waren trotzdem schöne Zeiten! Tagsüber lümmelten arme Menschen am Strand „Buhne 16“ in ihren kaputten und verschmutzten Strandkörben – zerschunden, abgearbeitet, müde, ungewaschen, alkoholisiert, stinkend, krank, verletzt, entstellt. Sie lümmelten dort und warteten auf nichts, einfach nichts. Wünschten sich höchstens, dass der Tag doch bitte so bleibe … oder doch bitte vorübergehe. Manche gingen ins kalte Wasser der Nordsee, auch bei Flut.
Am späten Nachmittag sah man sie dann wieder. Man sah sie im Ort, diese Clochards, Bettler, arme unrasierte Menschen. Sie kannten sich alle, von irgendwelchen Brücken im Hamburger Hafen wahrscheinlich. Im „Gogärtchen“ standen sie, die Ärgernisse des Tages mit einem Gläschen Champagner oder schon wieder mit einem Drink – am besten mit beidem – herunterspülend. Es war deprimierend, ja traurig.
Abends und nachts, nachdem sie mit ihren zerkratzten, verbeulten und klappernden Lamborghinis oder Porsches in ihre erbärmlichen, dem Verfall preisgegebenen, mit Reet notdürftig gedeckten Hütten in Kampen/Wattseite auf Sylt gerumpelt waren, kamen einige wieder in die Dorfstraße. In den „Rauchfang“ etwa, schräg gegenüber vom billigen „Gogärtchen“, der Absteige, in der erst einmal noch der Dreck des Nachmittags beseitigt werden musste. Ich glaube der Treffpunkt am Abend hieß „Rauchfang“. Dort sah man sie also wieder, diese ungepflegten, schmutzigen Clochards, ihre billigen Frauen (oder waren es Nutten?). Sie trugen ihr letztes Hemd, ihre letzte verdreckte und eingerissene Hose, meist abgelatschte, verbrauchte und verdreckte Schuhe. Sonnenbrand auf der Stirn. Und dort kam auch dieses Lied von den Kinks, „Lola“. Jeden Abend kam es.
Ich sehe sie dann auf den wackelnden Tischen herumzappeln, sie ließen sich hemmungslos gehen. Es war der Höhepunkt des Abends. Ein Ritual. Als hätten sie tatsächlich Spaß am Leben. Betrunken grölte man auf den Tischen „Lola“ mit. Ich sehe es vor mir. Hier also das Lied:
Leave A Reply