Der Kirschgarten von Anton Tschechow hatte gestern an den Münchner Kammerspielen Premiere. Vorab: Der Blog ist kein reiner Theaterkritik – Blog, dennoch heute wieder meine Einschätzung. Natürlich, ich wende mich mit dem Blog auch an Leser, die nicht in München leben, das Stück also nicht sehen werden. Ich will auch nicht sagen: „Schaut mal, was ich wieder Tolles gemacht habe!“ Nein, ich will Anregungen geben. Anregungen, sich Themen zu nähern. Ich habe dazu mehr Zeit als viele andere und möchte es nur ein wenig weitergeben.
Zur gestrigen Premiere insoweit Folgendes:
Man kennt Theater ja oftmals so, dass dann, wenn alte „Klassiker“ gespielt werden, gerne der Inhalt mehr oder weniger plump auf neue Zeiten übertragen wird, abgeändert wird, eventuell etwas politisiert gebracht wird, etc. Manchmal mit etwas belehrender Attitude. Denn die Situation ist dann doch schnell diejenige, dass der Zuschauer – bequem – einer bestimmten „Belehrung“ folgt. Wie etwa sicherlich schnell bei „Der Kirschgarten“, dem letzten Stück, das Anton Tschechow geschrieben hatte. Ein gerne und oft genommenes Stück, das – denke ich (ich habe nicht sehr viele verschiedene Inszenierungen des Stückes gesehen) – schon oft in derartiger Form behandelt wurde. An den Münchner Kammerspielen wurde es etwa zuletzt vor 10 Jahren aufgeführt. Übrigens war es damals für Brigitte Hobmeier – eine der besonders herausragenden Schauspielerinnen und Schauspieler des Hauses – die erste Rolle an den Kammerspielen, nun ist es die letzte. So erzählt sie im kürzlich erschienenen Interwiew in der Münchener Abendzeitung. Sie hat leider bekanntlich ihren Vertrag bei den Kammerspielen mit Wirkung zum Ende dieser Spielzeit gekündigt. Auch der damalige Regisseur Lars-Ole Walburg hatte die Geschichte – ohne Ablauf oder Namen zu verändern – aktualisiert nach Deutschland verlegt. Thematisch ist das bei diesem Stück natürlich gut machbar, geht es doch im „Kirschgarten“ – grob gesagt – um das immer relevante Thema: Das schöne „Alte“ – der Kirschgarten – muss aufgegeben werden, man steht vor noch unbekanntem „Neuen“. Kann man sich im Leben vom schönen „Alten“, das einen geprägt hat, trennen? Kann man wirklich zu „Neuem“ aufbrechen? Wie verhält man sich im Übergang zwischen Alt und Neu? Das beleuchtete Anton Tschechow anhand der zwölf in seinem Stück dargestellten Personen in der damaligen russischen Lebenssituation.
Der Kirschgarten von Anton Tschechow hatte gestern an den Münchner Kammerspielen also Premiere. Der Regisseur des Stückes, Nicolas Stemann, Hausregisseur der Kammerspiele, ist bislang vor allem bekannt geworden als derjenige, der Elfriede Jelinek mit aktuellen Themen auf die Bühne bringt. Etwa nach den Attentaten von Paris das Stück „Wut“ – auch an den Kammerspielen. Nun wollte er einen Klassiker bringen, er sah es als eine persönliche Herausforderung an. Der Ansatz von Stemann ist: Er verpflanzt das Stück NICHT nach Deutschland oder irgendwohin. Er politisiert NICHT mit aktuellen Themen. Er belässt es – auf sehr zeitloser, völlig karger Bühne – beim allgegenwärtigen Thema! Er belädt die Bühne NICHT in „vielsagender“, die Interpretation dann doch schon deutlich lenkender Weise. Alles bleibt offen. Es kommen nur die Personen zum Tragen! Schön, da die schauspielerischen Leistungen so – das war mein deutlicher Eindruck – noch viel deutlicher werden. Etwa diejenigen von Brigitte Hobmeier, von Peter Brombacher, von Samouil Stojanow, Damian Rebgetz. In Tschechows Stück treten 12 Personen auf, die mit der Situation umgehen, dass der schöne Kirschgarten, den alle als Teil ihrer Vergangenheit kennen, versteigert wird. Stemann besetzt jede Rolle, so sieht man einen wunderbar großen Teil des guten Ensembles der Kammerspiele zusammen auf der Bühne. Nur der hohe, schwere, dunkelrote Vorhang der Bühne spielt in der ersten Hälfte herein. Er geht permanent auf und zu, fährt durch die Bühne. Ein Symbol für Anfang und Ende konnte er sein, dachte ich etwa. Oder für die schöne alte Zeit, der Prunkvorhang. Bis er abstürzt. Ein Schauspieler etwa sagte mir nach der Aufführung, der Vorhang könne auch in verschiedener Hinsicht unsere Zeit zeigen, diese irre Situation, die alles durchschneidet, Trump etc. Dieser Wandel. Wie verhält man sich! Darauf führt Nicolas Stemann die Inszenierung zurück.
Nochmal: Man bekommt nicht eine bestimmte Meinung serviert, man verlässt das Theater nicht „meinungsgesättigt“, sondern erhält die Anregung, selber zu denken! Das ist auch der Ansatz dieses Blogs: Kunst ist nicht Konsum! So haben sich die Zeiten geändert. Einige Münchner scheinen damit – in Erinnerung an alte Zeiten – immer noch Probleme zu haben.
Auffallend dabei: Die Inszenierung von Stemann fordert viel von den Schauspielern. Jede der Personen des „Kirschgarten“ hat ein anderes Verhältnis zum Untergang des Alten und zeigt sich entsprechend. So auch hier deutlich. Manchmal im Monolog vor dem geschlossenen Vorhang; wunderbar etwa Brigitte Hobmeier und Samouil Stojanow. Jeder Schauspieler zeigt sich dadurch noch dazu irgendwie deutlicher sogar, als in anderen Stücken, war mein Endruck. Schön! Hier würde ich nur sagen: Die ein oder andere Person des „Kirschgarten“ – etwa die von Annette Paulmann oder Julia Riedler dargestellten Personen – könnte sogar noch deutlicher dargestellt werden. Vielleicht muss man das Stück aber auch einfach zweimal ansehen. Es lohnt sich! Thematisch und als Theaterfreund im Sinne des Nachdenkens, nicht Konsumierens.
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Gefällt mir gut, wie du das schreibst. Nicht aufdringlich, positiv zurückhaltend. und doch auffordernd, es anzusehen.
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