In München leuchtet derzeit die Performancewelt. Zur Irritation der Münchner holt der neue Intendant Matthias Lilienthal einige der besten deutschsprachigen Performancekollektive, Rimini Protokoll, Gob Squad oder SheShePop an die Kammerspiele. Gestern war wieder eine Premiere: Eine Annäherung an das Mammutwerk Krieg und Frieden von Leo Tolstoi. Es hieß War an Peace. Keine Frage: Das geht zu Lasten des guten Ensembles der Kammerspiele, denn eine Performance lebt nicht von Schauspiel! Aber es bleibt eine jedenfalls für diese Spielzeit interessante Erfahrung! Man mag hoffen, dass Matthias Lilienthal in den kommenden Spielzeiten das wertvolle Ensemble der Kammerspiele wieder mehr schätzt. Auch um es nicht zu vergraulen. Man sieht sie fast garnicht mehr! Aber für diese Spielzeit kann man sich sagen: Theater mit Performances zu kombinieren ist ein für München auf jeden Fall interessanter Versuch, der einige aus dämmerigen Schlummerschlaf aufrütteln kann. Frage: Wo liegt der Unterschied zwischen Theaterschauspiel und Performance?
Performance als Kunstrichtung gibt es seit den 60er-Jahren, beeinflusst u. a. durch den Dadaismus (siehe Blogbeitrag). Performance ist häufig ortsgebunden, kann jedoch überall, zu jeder Zeit und ohne zeitliche Begrenzung stattfinden. Dabei kommen vier Grundelemente ins Spiel: Zeit, Raum, der Körper des Künstlers und eine Beziehung zwischen dem Künstler und dem Zuschauer. Es wird nicht „ein Stück aufgeführt“, sondern die Entwicklung im Ablauf einer Performance ist ein wesentliches Element. Nicht selten sind Performances offene künstlerische Versuchsanordnungen ohne Ablaufkonzept.
Rimini Protokoll (zeigte kürzlich Qualitätskontrolle, das Leben einer Querschnittsgelähmten) schreibt: Im Mittelpunkt ihrer Arbeit steht die Weiterentwicklung der Mittel des Theaters, um ungewöhnliche Sichtweisen auf unsere Wirklichkeit zu ermöglichen.
Für Gob Squad (zeigt derzeit War and Peace von Leo Tolstoi) wird eine Grenze überschritten, wenn sie mit Schauspielern zusammenarbeiten, wie jetzt bei War and Peace. Sie arbeiten nicht mit einem Regisseur. Jeder auf der Bühne ist Miturheber der Performance. Es geht um Selbstreflexion der Akteure zu einem bestimmten Thema, evtl. unter Einbezug des Publikums, der Passanten etc.
SheShePop (zeigt derzeit 50 Grades of Shame) schreibt: Wir sind keine Darstellerinnen. Vielmehr stellen wir uns selbst und gegenseitig Aufgaben und lösen sie auf offener Bühne. Aus dem eigenen Erfahrungshorizont entwickeln sich unterschiedliche Perspektiven auf eine Frage. Das wird mitunter als autobiografisches Theater gedeutet. Tatsächlich ist der Bezug zum eigenen Leben eine Methode, nicht das Thema. Durch Verdichtung entsteht aus dem persönlichen Material eine erkennbare künstlerische Strategie und eine ins Beispielhafte stilisierte Position. Das Eigene ist dabei das Fremde, Monströse. Das gilt neuerdings auch umgekehrt: In einigen unserer neueren Shows bearbeiten wir bekannte monströse Texte aus dem literarischen Kanon mit eben dieser autobiografischen Methode.
So näherte sich auch das Konzeptkollektiv Gob Squad dem Thema Krieg und Frieden und dem Buch Krieg und Frieden von Leo Tolstoi. Es bleibt spannend und mag jedem ein Anreiz sein, sich einmal über den Tellerrand hinaus mit Performances und damit der sehr subjektiven, fast autobiografischen Befassung von Performern mit bestimmten Themen auseinanderzusetzen.
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