Heute der dritte und letzte Teil der Gedichte An Kassandra, in denen es um das Erwachsenwerden geht. Ausgehend, wie gesagt, von Kassandra von Christa Wolf. Siehe die Einträge vom 18. Januar und 16. Januar. Auch diese Gedichte werden Teil des Buches sein, das bald fertig ist.
ERWACHSENWERDEN – AN KASSANDRA III
Nein, Kassandra, ich verlor nichts, als ich erwachsen wurde.
Durch das Erwachsenwerden gewann ich!
Ich gewann Nähe zu mir, ich kannte mich nicht.
Natürlich hat man mir vieles beigebracht,
damals, als ich mich nicht wehren konnte.
Vieles, was ihnen entsprach, sollte ich machen,
selten das, was mir entsprach.
Aber im Laufe der Jahre, Kassandra,
da hatte ich es geahnt und dann verstanden,
dass ich mich wehren musste,
und ich wehrte mich
gegen das, was ich nicht wollte.
Nicht machen wollte, nicht sein wollte.
Überall waren Grenzen, gegen die ich mich wehrte.
Und ich überlegte, was ich machen wollte
und was ich sein wollte.
Ich überlegte und konnte sogar begreifen, wer ich war.
Aber erst, Kassandra, als ich erwachsen war, begriff ich.
Als ich erwachsen war.
Da war es zu spät, meinst Du? Nein, glaube ich nicht.
Es war nur weit weg, was ich noch suchte,
hinter den Grenzen.
Also musste ich mich anstrengen
und das ging, weil ich erwachsen war.
So ist es!
Ich suche und suche
aber als Erwachsener sehe ich,
auf welche Reise ich gehe.
So komplizierte und schöne Reisen kann ich
als Erwachsener gehen!
Früher habe ich Grenzen entdeckt und eingerissen
aber jetzt geht es weiter hinaus.
Und ich suche nicht, weil ich mich verloren hätte,
nein, ich suche, weil ich finden werde,
was ich noch nicht sehe,
und weil ich merke,
wie reichhaltig die Suche noch sein kann
für mich, Kassandra.
Leave A Reply