Im Stream des Monats des Deutschen Theater Berlin war gestern Abend „Bremsspuren“ von Nicola Bremer zu sehen. Der Stream wird am 19. November wiederholt. In der (bisherigen) Corona-Zeit waren vielfach Streamings zu sehen. Mal waren sie gelungen, mal weniger gelungen. Aus meiner Sicht waren sie meist dann gelungen, wenn man mehr Nähe zu den Schauspielern und Schauspielerinnen vermittelt bekam, als üblich. Dann, auch durch den irgendwie besonderen Einsatz der Kamera(s), waren die Streamings oftmals sehenswert und besonders! Nähe zum Schauspieler, das ist sicherlich ein Vorzug von „Bremsspuren“.
„Bremsspuren“ ist ein Stück, in dem allein der junge Schauspieler Niklas Wetzel zu erleben ist. Nur ganz selten – gegen Ende – hört man außerdem die Stimme von Julia Windischbauer. Mehr nicht. Man erlebt „nur“ Niklas Wetzel. Ich habe ihn schon das ein oder andere Mal erlebt, er hatte seine Schauspielausbildung an der Münchner Falkenbergschule – der Theaterschule der Münchner Kammerspiele – absolviert.
Thema: „Ein Mensch. Ein Raum. Ein Experiment. Einmal so langsam wie möglich durchs eigene Wohnzimmer gehen. Einmal bis zur gegenüberliegenden Wand.“ Das ist in etwa die Idee des Stückes, geschrieben von Nicola Bremer (ausdrücklich für das Streaming, glaube ich). Es geht im Grunde von dieser Idee her gesehen um die Entdeckung der Langsamkeit. Sten Nadolnys Buch „Die Entdeckung der Langsamkeit“ fällt einem ein. „Daniel“ verlässt für ein Jahr das Leben, in dem von uns allen Zeit und Raum laufend vergewaltigt werden, wir Menschen missachten ja im Grunde laufend die wirklichen Dimensionen von Zeit und Raum. „Daniel“ zieht sich in sein Wohnzimmer zurück, er will Zeit und Raum wirklich kennen lernen. Ein leerer meist weißer Kubus auf der Bühne. Drei Wände, vorne offen.
Niklas Wetzel alias „Daniel“ spricht dabei in diesem Stück – ausschließlich wohl per Telefon, man sieht ja niemanden – mit der von ihm heiß begehrten Julia Windischbauer alias „Laura“. Es ist insoweit ein Monolog. Man hört keine Antworten, sondern nur Sprechpausen, in denen man sich die Antworten von Julia Windischbauer alias Laura vorstellen kann.
Daniel erzählt Laura von seinem Projekt, ein Jahr lang sein Zimmer zu durchqueren. Mehr macht er nicht. Sein Projekt, ein Experiment. Er nimmt Zeit und Raum ein Jahr lang wahr. Er erzählt „seiner“ Laura davon, spricht davon, dass er verschiedene Besuche bekam, dass er nicht einsam sei und und und.
Im Grunde aber spricht er mit Laura, da er ihr nahe kommen möchte, er liebt sie. Er ruft sie immer wieder an. So geht es meines Erachtens im Stück leider viel eher um die Beziehung zwischen Daniel und Laura, als um die einsame und so „langsame“ und „eingeschränkte“ Lebenssituation von Daniel. Es geht eigentlich wenig um das interessante „Projekt“ von Daniel: Seine Idee des Erlebens von Zeit und Raum. Diese Idee wird von Daniel immer wieder angesprochen, wird aber nicht vertieft. Dass es Daniel eher um Laura geht, zeigt meines Erachtens auch die Tatsache, dass Daniel nicht etwa ruhiger, „entschleunigter“ wird, sondern im Gegenteil aufgedreht, manchmal geradezu hektisch. Seine Empfindlichkeit ist immer getragen von den Veränderungen seines Verhältnisses zu Laura.
Die interessante Idee des Stückes bleibt somit meines Erachtens zu sehr in dem Versuch stecken, die Idee des „Projektes“ von Daniel wirklich zu vertiefen. Das Stück gleitet ab in die Darstellung der Beziehung zwischen Daniel und Laura. Vielleicht allerdings geht es darum: Die Beziehung von Daniel zu Laura scheitert vollständig, da Daniel durch sein Projekt der „Entdeckung der Langsamkeit“ überhaupt keine Nähe mehr ermöglicht. Er hat sich dem Leben entzogen, kann nur noch zuhören, was Laura vom Leben erzählt.
HIER der Link zur Website des Deutschen Theater Berlin und seinem Angebot Stream des Monats. Der Stream im kommenden Monat wird klasse! Filmisch sehr besonders! LEAR – ein Werk aus KÖNIG LEAR (Shakespeare) und DIE POLITIKER (W. Lotz).
Copyright des Beitragsbildes: Screenshot des Deutschen Theater Berlin
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